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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien
Autoren: Heinz G. Konsalik
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unterdrückte, mit denen er auf Larissas Hüften und Brüste starrte.
    Aber er blieb wachsam. Ein Vollweib wie die Tschakowskaja konnte unmöglich über Jahre hinweg ohne einen männlichen Körperdruck auskommen. Völlig gegen die Natur war das, es sei denn, sie war das feminine Gegenstück zu Dshuban Kasbekowitsch, dessen blonde Knaben bei Rassul Übelkeitsanfälle auslösten. Aber nichts da, Genossen! Die schöne Larissa blieb neutral, ließ keinen Mann heimlich in ihre Wohnung schleichen und wurde auch niemals mit den Sekretärinnen der Bauleitungen beobachtet – etwa, daß sie mit ihnen angeblich Schach spiele bis in den frühen Morgen hinein. Man konnte ihr nichts nachsagen.
    »Sie muß sich unten zugenäht haben«, sagte Rassim im Offizierskreis, wenn er genug Wodka getrunken hatte und die Zunge locker wurde. »So ein Wunder von Weib – und verstaubt!«
    »Natürlich war es ein Unfall!« sagte Dshuban jetzt an der Tür und fingerte eine Zigarettenschachtel aus dem maßgeschneiderten Ärztekittel. Keine Papyrossi, o nein – Dshuban rauchte orientalische, süßliche Zigaretten, die mit seinen Modemagazinen angeliefert wurden; Zigaretten, deren Qualm duftete, als hätte man sie wochenlang in einem Puff gelagert. »Aber – ich mag mich täuschen, Genossin – er geht auch Sie an. Der Tote ist Pjotr.«
    Nichts in dem schmalen, hochwangigen Gesicht verriet, daß Larissas Herzschlag für zwei Sekunden aussetzte und dann zu rasen begann. Sie drapierte die Decke nur noch enger um ihre entblößten Beine und Schenkel, drehte den Plattenspieler noch leiser und fuhr sich dann mit der rechten Hand durch das kurze schwarze Haar.
    »Welcher Pjotr?« fragte sie mit großer Fassung.
    »Der Dichter.«
    »Wer hat ihn getötet?«
    »Getötet?« Dshuban sah sie erschrocken an. »Eine Eisenbahnschwelle …«
    »Wer hat sie ihm auf den Kopf geworfen?«
    »Ein Stapel kam beim Abladen ins Rutschen, und Pjotrs Kopf war im Weg. Das ist alles. Ein Unfall wie Hunderte.« Dshuban grinste verhalten. »Er war doch Ihr Vorzugspatient, nicht wahr?«
    »Er war ein armer Kerl, der nie begriff, warum lyrische Gedichte staatsgefährlich sein können. Er hat auch hier im Lager gedichtet, und ich habe sie mir vortragen lassen. Eins seiner neuen Gedichte hieß: Wir Sumpfblumen.«
    »Da fängt's ja eben an, Genossin! Defaitismus schon im Titel! Das ist das Gefährliche an den Spinnern, daß sie nie begreifen können, welchen Schaden sie anrichten.« Er steckte sich seine parfümierte Zigarette an und spitzte beim Qualmabblasen die Lippen wie zu einem Kuß. »Wollen Sie ihn noch einmal sehen? Er liegt im Anatomieraum. Ich habe ihn gerade obduziert.«
    Dshuban beobachtete Larissa wie eine Schlange das Kaninchen. Aber sie gab sich keine Blöße. Sie nickte nur leicht, geradezu unbeteiligt, und stellte den Plattenspieler endgültig ab. Dann erhob sie sich, die Decke um ihre Hüften festhaltend, und streckte ihr schmales Kinn vor.
    »Gehen Sie raus, Dshuban Kasbekowitsch. Ich will mich anziehen.« Dr. Owanessjan verließ die Wohnung und eilte, als trage er eine frohe Botschaft mit sich, beschwingten Schrittes hinüber zur Chirurgie und zum Anatomiezimmer. Wenig später folgte ihm die Tschakowskaja, jetzt in einem Wollrock mit hohen Stiefeln darunter und einer braunen Wollbluse. Ihr Gesicht war diskret gepudert, was ihre an sich schon ins Bronzene schimmernde Haut noch gesünder erscheinen ließ.
    Dshuban stand im Anatomiezimmer hinter dem hingestreckten Körper des Toten. Die zertrümmerte Schädeldecke war sauber präpariert. Da niemand Pjotrs Augen zugedrückt hatte, blickten sie starr, ohne Ausdruck, auf Larissa. Die Ärztin trat an Pjotr heran und schloß mit der flachen Hand seine Lider. Dann wandte sie sich um, tauchte die Hände in ein Emaillebecken mit Desinfektionslösung und schüttelte die Nässe ab. »Sie lassen ihn noch heute begraben?«
    »Natürlich. Haben Sie besondere Wünsche, Genossin?«
    »Nein. Wieso?«
    »Ich dachte. Vielleicht ein Kreuz.?«
    »Sie sind ein Rindvieh, Dshuban!« Ihre dunklen Augen verrieten keine innere Regung, als sie die Hände an einem Handtuch abtrocknete und an der Leiche vorbei zum Ausgang ging. »Pjotr war ein Atheist, das weiß ich nun besser als Sie!«
    Sie warf die Tür hinter sich zu, schritt hinüber zu ihrer Wohnung und schloß sich ein. Dann stand sie am Fenster, hinter der Gardine, blickte über den großen freien Platz vor dem Hospital und hinüber zur Straße, auf der die ersten Arbeitsbrigaden ins
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