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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Schönheit, wie Chefingenieur Morosow einmal festgestellt hatte; oder wie sich der Politkommissar des Lagers, der Genosse Jachjajew, poetisch ausdrückte: eine Rose in voller Blüte. Es war geradezu eine Schande, eine solche Frau in einem Straflager zu vergraben, auch wenn sie Chefärztin war und drei eigene Zimmer bewohnen konnte.
    Larissa zog also eine Decke über ihre bloßen Schenkel und lehnte sich auf dem altmodischen Sofa zurück. Ein Sofa aus der Jahrhundertwende – der Teufel allein wußte, wie es nach Surgut am Ob, in das verfluchteste Sibirien, gekommen war. Aber es stand schon da, als Larissa das Lagerhospital übernahm. Das war vor fast vier Jahren gewesen und ziemlich plötzlich; man hatte sie aus Perm weggeholt, wo sie damals als Oberärztin in einem Fachkrankenhaus für Lungenleiden arbeitete. Da es ein Befehl aus der KGB-Zentrale in Moskau war, beantragt von der GULAG-Verwaltung in Tjumen, gab es keine Möglichkeit, mit den Verwaltungsgenossen zu debattieren und die Versetzung abzuwenden.
    Bis zu diesem Tag hatte Larissa nicht gewußt, was es heißt, wenn ein Lager mit ›strengem Regime‹ zum Mittelpunkt des Lebens wird. Sie erfuhr es sofort nach ihrer Ankunft in JaZ 451/1, als Lagerkommandant Rassul Sulejmanowitsch Rassim, der bullige Turkmene mit dem Gewissen eines Auerochsen, den Arm um sie legte, dabei mit dem Handteller ihre rechte Brust umfaßte und geil wie ein einsamer Witwer verkündete:
    »Wir hatten einmal eine Ärztin, die starb nach der fünften Abtreibung. Und Ihr Vorgänger, der sentimentale Dr. Semlakow, hing eines Morgens an seinen Hosenträgern am Fenster. Ein zartes Gemüt. Schreibt mir an einem Tag vierundsiebzig Halunken krank. Was mußte ich da machen? Ich habe die Kerle trotzdem zur Arbeit geschickt – und das hat ihm das Herz gebrochen. Was werden wir von Ihnen, meine liebe Larissa Dawidowna, erwarten können?«
    »Einen Tritt zwischen die Beine, wenn Sie meine Brust nicht loslassen, Genosse Podpolkownik (Oberstleutnant)!« hatte sie mit einem Lächeln geantwortet, das ihre schrägen Augen noch enger erscheinen ließ. Rassim hatte daraufhin schnell seine Hand zurückgezogen, aber von dieser Stunde an blühte zwischen ihnen der Haß wie im Frühling das Unterholz der Taiga.
    Dr. Semlakow hatte kaum etwas hinterlassen, was Larissa Dawidowna übernehmen wollte. Er hatte geradezu primitiv gewohnt mit Bett, Schrank, Tisch, Stuhl und einem Regal voller Bücher über fremde Länder, mit denen er sich jeden Abend weggeträumt hatte aus Sumpf und Lager. Er hatte von Hawaii gelesen, von Tahiti und den Seychellen, von Florida und den weißsandigen Stränden Mexikos oder Marokkos … und hatte in einer kleinen, in die Taiga hineingesetzten Hölle gelebt, bis er es nicht mehr ertragen konnte.
    Larissa hatte alles aus der Wohnung geworfen bis auf das Sofa. Es erschien ihr hier in dieser Einsamkeit wie ein gerettetes Stück aus einer versunkenen Welt. Alles andere ließ sie aus Tjumen und Swerdlowsk kommen: helle Birkenmöbel, Bücherregale, bequeme Sessel, mit flauschigen Wollstoffen bezogen, Lampen mit hellen Stoffschirmen und zwei Teppiche aus dem Kaukasus.
    »Sind Sie Millionärin, Genossin?« rief Rassim aus, als nach einer Wartezeit von fast einem halben Jahr alle diese Köstlichkeiten mit einem Lastwagen aus Tobolsk eintrafen. »Die Augen laufen einem über! Wo gibt es solche Dinge zu kaufen? Haben Sie mit den maßgebenden Männern im Bett gelegen?«
    Larissa ließ Rassul Sulejmanowitsch einfach stehen, was natürlich nicht zur Festigung der Harmonie beitrug. Der Kommandant erkundigte sich reihum von Tjumen bis Perm, wieso diese Tschakowskaja zum Beispiel zu zwei kaukasischen Teppichen kommen könne – und erfuhr, daß die Genossin einen Onkel in Moskau habe, von dem man nur wisse, daß er irgendwie Einfluß in der Parteileitung ausübe. Eine nebelhafte Auskunft, aber sie genügte Rassim. Onkel mit Einfluß sind gefährlich, wo immer sie auch auftreten. Sie können wie ferne Nebel sein, die das ganze Wetter beeinflussen. Ein vorsichtiger Mensch geht solchen unsichtbaren Witterungen aus dem Weg.
    Der gegenseitige Haß, eigentlich durch nichts begründet als durch tiefe unerklärliche Abneigung, blieb erhalten, aber Rassim wurde höflicher im Umgangston. Er sagte nicht mehr zu Larissa: ›Na, mein schönes Brüstchen …‹, sondern redete sie respektvoll mit ›Frau Ärztin‹ oder gar ›Genossin Chefarzt‹ an, was allerdings nicht bedeutete, daß er seine geilen Blicke
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