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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien
Autoren: Heinz G. Konsalik
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es nie gegeben und wird es auch nie geben.«
    Pater Olrik trank den zweiten Becher Kognak leer und sehnte sich nach einer Zigarette. Es blieb ein geheimer Wunsch, denn der Prälat war ein fanatischer Nichtraucher, bei dem die Abneigung gegen Tabak so weit ging, daß er sofort die Fenster aufreißen ließ, wenn er einen Raum betrat, in dem es nach Tabakrauch roch. Dafür aß er am Tag drei Tafeln Schokolade: morgens Vollmilch, mittags Mokka, am Nachmittag Zartbitter. Der Arzt hatte ihm das seit Jahren streng verboten, und Monsignore lebte auch nach einer gewissen Diät – aber die Schokolade konnte ihm keiner verbieten. »Gott wird kleine Sünden verzeihen!« hatte er einmal gesagt. »Gottes Güte ist unbegreifbar.« Sie war es, denn trotz Diabetes und Schokolade hatte der Prälat 69 Jahre erreicht, war ein Kerl wie ein Baum und sah blühend aus mit seinen roten Bäckchen – das waren allerdings Alarmzeichen – und fühlte sich wohl wie ein Delphin im warmen Wasser.
    »Das alles ist politisch so heiß, daß keiner sich damit befassen will«, sagte der Prälat und wanderte wieder in dem Büro hin und her. Vor dem Foto des Papstes blieb er stehen, sah es eine Weile stumm an und fuhr dann fort: »Auch er weiß es nicht! Nun machen Sie kein Schafsgesicht, Stephanus; wir belügen Papa nicht, sondern wir sagen einfach gar nichts. Wer nichts sagt, lügt nicht, das ist doch logisch? Unter Pius XII. war die Ostpolitik des Vatikans noch eine Art Konfrontation gegen den stalinistischen Kirchenkampf, doch seit Johannes XXIII. – daß er mit Chruschtschow nicht Krakowiak getanzt hat, erscheint mir heute noch geradezu verwunderlich – entwickelt sich ein Liberalismus in der Ostpolitik, eine Art Duldungsabkommen, ohne Rücksicht darauf, wie schwer es unsere Brüder von der Ostkirche in Wirklichkeit haben. Was wir tun, ist Informationen sammeln … Und da helfen Sie ja mit, Stephanus.«
    »Ich verstehe noch immer nicht die Zusammenhänge in Verbindung mit meiner Person.«
    »Das wird Ihnen Monsignore Battista erklären.« Der Prälat hob beide Hände. »Sagen Sie ihm bloß nicht, daß ich Ihnen seinen Namen verraten habe. Wenn er es Ihnen selbst sagt, gut – aber so lange betrachten Sie ihn als namenlos.«
    »Und was will er von mir?« fragte Pater Olrik stockend. Da der Prälat vor dem Foto des Papstes stand, goß er sich den dritten Silberbecher Kognak selber ein.
    »Das soll er Ihnen persönlich sagen. Ob Sie es glauben oder nicht: Ich weiß es auch nicht, Stephanus. Das ist keine Lüge, kein Trick! Ich schätze Sie und Ihre Arbeit sehr, Pater. Das wissen Sie. Und ich habe mich auch bis zuletzt gewehrt …«
    »Wogegen?«
    »Daß man Sie mir wegnimmt …«
    »Monsignore!« Pater Olrik erhob sich von seinem harten Stuhl. »Ich finde es sehr rücksichtsvoll, daß Sie mir alles tröpfchenweise, in therapeutischen Dosen, einflößen möchten. Aber was geschieht, wenn ich nicht zur Piazza Campo dei Fiori gehe?«
    »Nichts!«
    »Trotzdem es anscheinend so wichtig ist?«
    »Niemand kann Sie zwingen, Stephanus. Sie sind Priester. Man kann Ihnen ein Amt übertragen, aber man kann Ihnen nicht befehlen, Ihr Leben zu opfern.«
    »Moment!« Pater Olrik holte tief Atem. Der letzte Satz des Prälaten hatte sein Herz wie ein Stich getroffen. Plötzlich merkte er, daß es schwer wurde zu atmen. Eine Art Krampf lähmte sein Inneres. »Was sagten Sie da von meinem Leben, Monsignore?«
    »Man wird es Ihnen erklären, Stephanus. Hören Sie sich alles in Ruhe an. Und ich wiederhole: Niemand kann Sie zwingen. Nur Ihr Gewissen kann es!«
    Sehr nachdenklich ging Pater Olrik in sein Büro zurück. Mitten im Raum blieb er stehen, drehte sich um und blickte hinauf zu dem einfachen Holzkreuz, das über dem Türstock an der Wand hing. Stumm bekreuzigte er sich. Sein Inneres, das gab er zu, war durcheinander geraten. Die unklaren Andeutungen des Prälaten, der nicht zu einer verständlicheren Sprache zu bewegen war, erzeugten in ihm allerlei Mutmaßungen, von denen aber keine so extrem war, daß sein Leben gefährdet sein könnte. Ein Missionsauftrag war nicht zu erwarten – den konnte nur sein Orden aussprechen. Außerdem kam so etwas nie plötzlich, nicht per Telefon und nicht mit solchen Geheimnissen umrankt, wie es der Prälat getan hatte. Also etwas Politisches? Was aber, bei Gott, sollte es sein? Im Vatikan gab es keine Planungen, die von Beginn an das Leben eines Priesters in Rechnung stellten. Das widersprach allen ethischen Grundsätzen.
    Er
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