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Ein Jahr in Stockholm

Titel: Ein Jahr in Stockholm
Autoren: Veronika Beer
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Tauer, dem Retter des schwedischen Fußballs, und davon, wie gerne ich die söderbröder zu einem Spiel einladen würde. Doch Lars macht böse Miene zum zugegeben vielleicht nicht sonderlich guten Spiel. Dabei ist er nicht etwa svartsjuk , schwarzkrank, wie die Schweden sagen, wenn jemand eifersüchtig wird. Das Reizwort Djurgården IF ist gefallen, und schon war es vorbei mit seinem Interesse.
    „Hör mal, du bist jetzt Södermalmerin, da nimmt man so etwas nicht in den Mund, ehrlich, da kannst du dir viele Feinde machen. Wir haben hier richtigen Fußball.“
    Ich bedanke mich also bei den drei Herrschaften, indem ich Karten für einen anderen Club in der Allsvenskan besorge. Ich bin etwas missmutig, denn bei Betrachtung der Aufstellung von Hammarby findet sich kein „Jan-ne Tau-er, Becken-bau-er“ und ständig stolpere ich über eine der tausend grün-weißen Stoffbahnen, die auf der Tribüne herumliegen. Diesmal ist es einer der Möbelpacker, der ein „Ta-det-lugnt!“ von mir fordert. Und wie so oft wird trotz meiner Skepsis alles gut.
    Aus den Lautsprechern singt der kultige Kenta, verstorbener Hammarby-Fan und Liedermacher mit Reibeisenstimme, wie stark seine Mannschaft heute ist. Er soll Recht behalten. Noch beeindruckender aber sind die Fußballverrückten um mich herum, die die vom Verein für sie ausgelegten Riesenfahnen vom Boden aufsammeln, zwischen mir und dem Spielgeschehen schwenken, mich, die Fremde, nach Hammerby-Toren, gelungenen Spielzügen und einem verschossenen Elfmeter des Gegners der Reihe nach in den Arm nehmen und in der restlichen Zeit einen ordentlichbrasilianischen Samba auf der Tribüne hinlegen. Es ist wie beim indiegympa : Ich muss einfach mitmachen, tanze und hüpfe zu den Rhythmen und spüre die Minusgrade nicht mehr, sondern verschmelze mit Herzen und Seelen der tollsten Fußballfans der Welt.
    Inzwischen führt Söder meilenweit in meinem persönlichen Duell gegen Östermalm. Ich liebe es, beim Bäcker zwischen Leuten zu stehen, die einen moderneren Schick als Pelzmäntel und Botox-Mimik an den Tag legen. Gelegentlich vergessen sie über ihrer Kleidung, die oftmals wie ein Regenbogen alle Farbnuancen abdeckt, sogar die Blondiercreme, die aus der zur Hälfte brünetten Bevölkerung die Fata Morgana der honig- bis platingelben Haarschöpfe macht. Bis vor hundert Jahren war das felsenreiche Södermalm das Arbeiter- und Handwerkerviertel Stockholms. Übrig geblieben sind schiefe Holzhütten mitten in der Innenstadt und ein Menschenschlag, der seinen Reichtum in der Kreativität findet.
    Die Vergangenheit der Stadt ist nirgendwo so unmittelbar zu greifen wie in Södermalm. Und sie war nicht immer schön. Die Armut zwang ab 1850 jeden fünften Schweden auszuwandern, vorzugsweise in die USA. Diejenigen, die ausharrten, wurden Versuchskaninchen in einem einmaligen Gesellschaftsexperiment des 20. Jahrhunderts. Um den Preis des weltweit höchsten individuellen Steuerdrucks erhielten sie das folkshemmet , das liebevoll Volksheim genannte Wohlfahrtssystem mit freier Schulbildung, Kinderbetreuung, Kranken- und Altenpflege. Vielleicht hat das soziale Sprungtuch in wirtschaftlich trüben Zeiten ein paar Knubbel und Risse bekommen. Vielleicht ist es strammer gespannt als früher. Doch es fängt nach wie vor. Da bleiben die Schweden gerne.
    So wie jede Innenstadt-Insel ihren eigenen Charme hat, so hat sie auch ihr eigenes Wetter. Es ist nicht überall so grau und matschig wie in der Gegend um die S:t Paulsgatan, wie ich erfahre, als ich mich mit Freunden verabrede:
    Östermalm: „Doch, doch, hier scheint die Sonne!“
    Kungsholmen: „Regen hatten wir seit einer Woche nicht mehr.“
    Reimersholme: „Bei uns graben sich schon Krokusse durch die Schneereste – verdreht, was?“
    Ich will einen ordentlichen skandinavischen Winter. Für Hamburger Schietwetter bin ich schließlich nicht gekommen. Meine Jammerei wird bald erhört. Über Nacht schickt der Himmel einen halben Meter Schnee in den Westen von Södermalm, während es auf die restlichen Zentrumsinseln nur mehr ein paar Alibiflocken staubt. Das gefällt mir, den Kindern, die ihre Schlitten in den auf Söder knapp Tanto genannten Tantolundenpark hinüberziehen, und auch der Sonne, die wie festgefroren über dem Viertel prangt.
    Wenige Tage später aber pfeift schon wieder ein eisignasser Wind durch die Straßen – die Gelegenheit, finde ich, um ins Kino zu gehen. Wie so oft schließt sich Anders mir an. Allerdings erst, nachdem er sich
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