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Ein Jahr in Stockholm

Titel: Ein Jahr in Stockholm
Autoren: Veronika Beer
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Schweden über die Dunkelheit. Abermals ist es 24 Stunden hell in den belebten Straßenzügen – wie an Mittsommer und fast noch schöner. Die Sehnsucht der Einwohner nach den sonnigen Tagen strahlt in der Vorweihnachtszeit von den Fensterbrettern und Fassaden der Kaufhäuser. Von den obersten Stockwerken einer villa an der Skeppsbron auf Gamla stan glitzern künstliche Eiszapfen; Schiffe tragen Girlanden. Ein paar Meter weiter schimmert und flimmert über einer Tanne ein Lämpchen-Umhang, dessen Spiegelung im Wasser weiterwabert. Um mich herum drehen sich Sterne aus Pappe in der Ostseebrise. Sogar die Baustellen und abbruchreifen Parkhäuser nahe dem Hauptbahnhof sind mit bunten Glühbirnen geschmückt.
    Der rea , der in vielen Geschäften bereits vor Weihnachten beginnt, behält derweil die Oberhand über mich. Wieder einmal stehe ich in den Nilson -Läden, und wieder einmal gehe ich mit einigen rechten Schuhen zur Kasse und bitte um Größe 38.
    „Ich sehe sofort im Lager nach. Fika? “, fragt die Verkäuferin. Um meine Wartezeit zu verschönern, schenke ich mir also aus der Kanne an der Kasse eine Tasse Kaffee ein, wozu mir ein junger Auszubildender eine Dose mit Pfefferkuchenplätzchen reicht.
    „Selbstgebacken. Willst du auch einen glögg ? Oder lussekatter? “ Diese Luciakatzen, die er jetzt unter der Ladentheke hervorzieht, sind Safrankringel in Form einer Katze mit zwei Rosinenaugen. Leider mag ich den bitteren Geschmack nichtbesonders. Aber am restlichen Angebot bediene ich mich gerne und ausgiebig. Die Rundumbetreuung erleichtert mir die Entscheidung für die Schuhe ungemein.
    Die ersten Päckchen für die Lieben daheim habe ich bereits zu den Annahmestellen in den Supermärkten gebracht, denn dieses Weihnachtsfest möchte ich in Stockholm verbringen. Die Entscheidung, was danach wird, schiebe ich immer noch vor mir her.
    Doch auch wenn die Konsumenten nicht so hektisch sind und sich besser über die Geschäfte verteilen als in der Münchner oder Kölner Innenstadt, habe ich allmählich genug. Die Suche nach Geschenken hat mich hungrig gemacht. Ich laufe die Kungsgatan zurück, über der in fünf Metern Höhe die Umrisse unterschiedlich großer Sterne brennen, und wandle unter Buchskränzen über die Einkaufsstraße Biblioteksgatan. Richtung Norrmalmstorg hat die Stadt einen roten Teppich ausgelegt, auf dem ich mir ein paar Meter lang intuitiv die Einkaufstüten vors Gesicht halte, da ich Linnéa keinen Anlass geben will, aus ihrem Accessoire-Laden zu hüpfen.
    Vorne auf der Hamngatan bringen Weihnachtsmänner auf schwarz getupften Apfelschimmeln Süßes für die Kinder. Mir ist mehr nach gegrilltem Senftoast, und so reihe ich mich in die Schlange an einer Imbissbude ein. Auf dem mit Scherenschnitt verzierten Schild davor lese ich:
    God jul önskar wurst i stan.
    Frohe Weihnachten wünscht die Wurst in der Stadt.
    „Genau das wünschen wir dir auch.“ Hinter mir höre ich Gelächter. Es sind Oskar und Ylva, die mich ins Nobelkaufhaus NK ziehen, wo sie gerade herkommen, damit ich den Koloss von Christbaum sehe, der dort von der Decke hängt.
    Draußen holen wir uns glögg und betrachten in einem Familienpulk die zu einem Fantasieland dekorierten Schaufenster, die vor Knallfarben und Kitsch triefen. Vad roligt! , höre ich von allen Seiten, und es ist wahrlich lustigmitanzusehen, wie ein animierter Drache ein Orchester aus Kuscheltieren dirigiert, die Kinder ihn nachahmen und dabei ihre Sahnewaffeln gegen die Scheibe patschen. Im Gedränge kleckere ich heißen Wein auf einen goldenen Stern, der mir hier auf dem Gehweg noch nie aufgefallen war. Statt eines Händeabdrucks wie in Hollywood hat ein Elefant für die Tierschutzorganisation WWF eine Unterschrift und seinen Plattfuß hinterlassen.
    Wir schlendern über den Weihnachtsmarkt auf Kungsträdgården, wo im Mittelalter Gemüse für den König angebaut wurde, und sind so schnell durch, dass wir an der Eislauffläche beschließen, ein paar Runden zu drehen. Ich bin gespannt, wie sich mein Exmitbewohner anstellt – aber ehrlich gesagt macht er sich um einiges besser als Ylva und ich. Mit unseren rudernden Armbewegungen und dem Gestolper, das uns permanent in Vor- oder Rücklage bringt, dürften wir aussehen wie betrunkene Vögel beim Flugversuch. Oskar hingegen gleitet mit der Eleganz einer Ballerina um die Statue eines Kriegerkönigs – aber nur so lange, bis ein Herr im eng anliegenden Ganzkörperanzug nicht mehr aufhören will, ihn mit seinen
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