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Ein Jahr in Stockholm

Titel: Ein Jahr in Stockholm
Autoren: Veronika Beer
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januari
    Mein Kopf pocht. Ich kippe kochendes Wasser über ein Päckchen Aufgusskaffee und rühre so lange in der Tasse, bis die letzten Pulverkügelchen aufplatzen, sich dem Koffeinstrudel hingeben und meine Gedanken klarer werden. An Tagen wie diesem sollte ich besser im Bett bleiben, statt dem Ruf der Fremde zu folgen. Bin ich eigentlich übergeschnappt, mein wunderbares Leben gegen das große Unbekannte einzutauschen?
    Ich atme und hoffe schwer, dass wenigstens der Balkon trägt, als ich nach draußen trete und mich gegen die Balustrade lehne. Und da stehe ich nun im Stockholmer Sprühregen und über dem grauen Grünstreifen entlang der Skeppargatan, die ich mein neues Zuhause nennen darf. An der Kreuzung zur Strindberggatan schämt sich ein vernagelter Kiosk seiner desolaten Optik, in der Ferne dampfen Industrieschornsteine.
    Das also ist es, worauf ich ein knappes Jahr hingearbeitet habe. Wie sieht der Traum von Schweden noch mal aus? So? Ich bin verunsichert.

    Dabei war ich so zuversichtlich gewesen, was meinen neuen Lebensentwurf anging. Irgendwie hatte sich in den Jahren das Gefühl eingeschlichen, da könnte noch etwas sein, ohne dass ich genau wusste, was und warum. Ich hatte eine tolle Familie, Spitzenfreunde, zwei Zimmer, Bad und Balkon für mich. Ich mochte meinen Job und liebte München mit seinem Englischen Garten, den Kiesbänken in der Isar, den Kneipen und Biergärten in den romantischen Hinterhöfen.Dennoch hatte ich schweren Herzens mein Auto abgemeldet, Freund und Hund zurückgelassen und mich vom Alltag verabschiedet. Ich hatte die Herausforderung gesucht und Stockholm gefunden. Hatte ein WG-Zimmer, konnte die Sprache und kannte die Tücken – so dachte ich und glaubte, alles würde gut. Aber natürlich hüpfte der Hase ganz anders.
    Da kreiste schon einmal kein Rucksack auf dem Gepäckband am Flughafen Arlanda und auch kein Trolley. Auf der vierzigminütigen Busfahrt ins Zentrum übergab sich das Kind vom Rücksitz in meinen Nacken. Am Hauptbahnhof verkaufte mir der Mann im Pressbyrån -Kiosk dann eine Schülerjahreskarte für den Nahverkehr – wahrscheinlich, weil ich auf seine diversen schwedischen Nachfragen zeitverzögert nickte.
    Am Karlaplan, wo meine Wohnung lag, brannten kurz vor meiner Ankunft die Kabel für die t-bana , Stockholms U-Bahn, durch; meine Linie fiel für den Rest des Tages aus. Oben am Taxistand warteten drei Leute im Glashäuschen – und geschätzt zehnmal so viele als feinsäuberlich sortierte Menschenschlange im Platzregen dahinter. Nein, das dauerte mir zu lange. Ich setzte mich wieder an den Bahnsteig und suchte im Stadtplan nach einem Ausweg. Für die Anmeldung zum Schwedischkurs war es nun ohnehin zu spät. Ich hoffte bloß, ich würde meine Vermieterin noch mit dem Wohnungsschlüssel antreffen – sie telefonisch zu erreichen hatte ich längst aufgegeben.
    Irgendwann nahm ich eine t-bana zur Station Stadion. Von dort aus war der Weg zur Wohnung weiter, und zu allem Überfluss fand ich mich von dieser, der westlichen Seite, überhaupt nicht zurecht. Erst nach planlosem Einkreisen der Gegend zwischen Königlicher Musikhochschule, Militärareal und Deutscher Botschaft passte alles zusammen: Haus, Straße, Nummer.
    Auf Klingelschildern, die so wohlklingende Namen trugen wie Rosenqvist und Blomstrand, suchte ich nach einemHinweis auf meine Vermieterin. Als ich noch stand und stutzte, öffnete eine Frau die Eingangstür in meinem Rücken, bugsierte mich in den Fahrstuhl und drückte Knopf vier. Sie vermied es zu sprechen, und auch ich wusste nicht recht, was ich sagen sollte. Oben schob sie mich durch eine Wohnung, ums Eck, in ein Zimmer. Kaum war sie – „Hej då!“ – verschwunden, ächzte es unter mir, und das Bett, auf dem ich mich erschöpft niedergelassen hatte, stand nur mehr auf zwei Beinen. Kurz darauf knackte es erneut, diesmal an der Wohnungstür. Jemand schien etwas abzuholen; dann schrie ein Schwede: „Das war’s! Ich komme nicht mehr wieder!“
    Hier trugen sich sonderbare Dinge zu.

    Der Kaffee auf dem Balkon wärmt meine Finger und bald auch die Seele. Was soll jetzt noch schieflaufen? Mit ein wenig Glück ist die Frau von eben sogar meine Vermieterin Gunilla. Stockholm beginnt. Und ich will nur das sehen, was mir gefällt. Die Kindertagesstätte mit Garten im Parterre zum Beispiel, wo sich der Nachwuchs im Schlamm suhlt und in Wikingerschiffen um die Wette brüllt. Kleine Schweden kriechen dort unten aus typisch falunroten Holzhäusern, um
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