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Ein Jahr in Stockholm

Titel: Ein Jahr in Stockholm
Autoren: Veronika Beer
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ein mittlerweile vertrauteres Bild: Zur Sperrstunde um eins sind rudelweise betrunkene Schweden auf der Garderobe unterwegs. Draußen auf den Gehwegen fallen einige einfach um, statt zu pöbeln. Wer es schafft, tippt eine SMS, und erhält so die Fahrkarte für einen der Busse am Medborgarplatsen. Wieder andere torkeln kichernd in die t-bana , wo sie mit bemerkenswerter Alkoholausstattung weiterfeiern. Neben mirgrölt ein älterer Herr wie besessen Guantanamera, ein jüngerer spielt dazu Oasis auf der Gitarre, Frauen ziehen Lippen und Lidstrich nach, und ein junges Pärchen strippt am Waggonende. Da es eine besondere Nacht ist, überwinden wir den Anflug von Müdigkeit und feiern ausgelassen mit.

    Am Straßeneck erteilt mir der Wind zwei saftige Ohrfeigen. Seit Tagen schneit und stürmt und hagelt es. Auf dem Weg zum Supermarkt vermumme ich mein Gesicht, ducke mich auf halbe Größe und stemme mich mit voller Kraft voraus in den Gegenwind. In meiner Novemberuniform höre ich bloß noch ein gedämpftes Sausen der verrückt gewordenen Natur um mich herum. Sonst nichts. Plötzlich greift mich jemand von hinten an und versucht mich zu überwältigen. Ich wehre mich, so gut ich kann, was aber nicht viel bringt, weil mir wie die Kälte auch der Schock durch die Glieder fährt. Seit zwei Jahren ist in Östermalm ein Vergewaltiger zu Gange, der alle paar Wochen aktiv wird und von dem die Polizei sicher weiß, dass es ein Mann mit Augenbrauen ist. Aber der wird mich doch nicht um halb acht vorm Supermarkt …
    „Hallöchen, ich bin’s doch nur, ta det lugnt! “ Die Lage entpuppt sich als ungut, aber harmlos. In Strumpfhose und kurzem Rock steht Linnéa vor mir, die mich offensichtlich begrüßt und sogleich zu einer herzlichen Umarmung angesetzt hatte. Ich klopfe mir eine Schneehaube vom Kopf und versuche mich ein wenig zu beruhigen. Ich bin doch verhüllt wie ein Bankräuber – wie kann sie mich da ausmachen? Und welcher Irre umarmt einen denn von hinten?
    „Linnéa ist zurück“, triumphiert sie: „Ich bin wieder euer Mitbewohner!“ Sie freut sich tatsächlich. „Du, Caro ist schon ausgezogen. Wo ist eigentlich mein Mahagoni-Kästchen hinverschwunden?“ Warum soll ich mich lange mit kallprat , belanglosem Geschwätz, aufhalten? Zur Sache, Schätzchen!
    Linnéa fällt ob meiner direkten Art aus allen Wolken undstottert nach kurzer Denkpause: „Das hab ich auf dem Trödel verkauft. Wieso? Die fanden das gut, und ich war grad ein bisschen klamm. Das gehörte doch nicht dir, sondern Gunilla! Für sie ist es sicher okay.“ – „Du kannst doch nicht einfach in mein Zimmer gehen und die Einrichtung verscherbeln! Außerdem war das Kästchen verschlossen – wer kauft denn so was ohne Schlüssel?“ – „Ich hatte die Schlüssel. Dummkopf ! Da hab ich meine Zigaretten und den snus und den Aquavit und ein paar so Sachen von Måns drin gebunkert, die Gunilla besser nicht bei mir findet! Volltrottel!“
    Ich traue meinen Ohren nicht. „Hör gefälligst auf, mich zu beleidigen. Du hast sie ja nicht alle – klaust Sachen, setzt alles unter Wasser, schmeißt Partys ohne Absprache, und deine Freunde machen es genauso.“ – „ Helvete! Nein, ich bin gerade so nervös, zum Teufel, da bricht immer mein Tourettesyndrom durch. Das gilt nicht dir, echt, fy fan! Aber ich kann gut damit umgehen – ich muss es nur rauslassen, sagt mein Therapeut.“
    Linnéa stößt einen Schrei aus, der mir wie die stürmische Begrüßung von eben durch Mark und Bein fährt. Dann keucht sie so hektisch wie ein feueratmender Yogi. Die Leute bleiben stehen und gucken. Auch in Stockholm öffnet sich der Erdboden nicht, wenn man es sich wünscht.
    Noch am Abend meines Einkaufs schrubbe ich die Wände und ziehe aus der Skeppargatan aus.

    Nun bin ich nicht mehr nur den finanziellen Möglichkeiten und der Mentalität nach eine Södermalmerin, sondern auch, was die Geographie angeht. Lars hatte nach meinem Anruf und der Bitte um Asyl schwuppdiwupp einen Van organisiert, den zwei söderbröder , Brüder genannte Kumpel von der Insel, mit meinen Sachen vollluden. Prominent war diesmal keiner von ihnen, aber nett und stark waren sie beide. In zwei Stunden war alles vorüber, und Lars hatte auch etwas davon:ein Gästebett, für das er am Wochenende eigentlich zu Ikea fahren wollte.
    Ich bin überwältigt von so viel Hilfsbereitschaft und überlege, wie ich mich bei allen dreien revanchieren kann. Irgendwann am nächsten Tag berichte ich Lars von Jan
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