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Ein Jahr in Stockholm

Titel: Ein Jahr in Stockholm
Autoren: Veronika Beer
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Natur umgeben, sondern so richtig von ihr durchzogen ist? Und ich haue ab – tolle Wurst!“
    „Ja, ich weiß“, stimme ich wehmütig ein und denke an den Englischen Garten, den gigantischen Park, der in Münchens Zentrum beginnt, an die Isarauen dahinter, ans Bocciaspielen im Hofgarten. Irgendwie ist das kein Vergleich zu den Esplanaden Östermalms, den Wiesen an allen Ecken, den sorgsam angelegten Blumenbeeten, den Fontänen, der Weite und den Stockholmer Inseln, die ein gewöhnliches Stadtzentrum überflüssig machen. Durchzogen, wie Caro sagt, trifft es genau. Keine andere Metropole würde sich derartig mit den Jahreszeiten wandeln. Nirgendwo würde ich die über zwölf Monate verteilte Kombination aus brennender Sonne, Schnee, Sturm, Hagel und Platzregen in dem Ausmaß erleben. Stockholm ist rein und wild und ursprünglich zugleich. Die Grüne Hauptstadt Europas. Langsam gewöhne ich mich sogar an die Melancholie der Menschen und an die furchteinflößenden dunklen Wälder im Winter. Verpflichtet das nicht zu bleiben?
    Caro sieht mich prüfend an, wie damals auf der Türschwelle vor unserer allerersten fika . „Was hast du vor? Gehst du weg?“ Ich spüre, wie innerlich eine Last von mir abfällt.Caro würde mich und meine Zerrissenheit verstehen. Ich erzähle vom Jobangebot, meinen Wünschen, Abwägungen und Zweifeln – und der Erleuchtung, die einfach nicht kommen will.
    Noch nicht einmal beim Martinsumzug der deutschen Gemeinde, bei dem Nadine ihre selbstgebastelte Laterne so tapfer gegen die Windböen in der Altstadt verteidigt. Dazu singt sie so laut, dass wir sie vom Straßenrand klar heraushören, auch wenn wir sie im schummrigen Licht nicht auf Anhieb erkennen. Echt nicht schlecht, die Kleine! Ihr Deutsch klingt akzentfrei. Offenbar war mein Wirken nicht völlig vergeblich.
    Auch in Schweden ist der Martinstag ganz und gar der Gans gewidmet. Mama Matilda möchte uns alle ins Restaurant einladen, aber Caro und ich lehnen dankend ab. Wir riechen den Braten und wissen, dass der Festschmaus von einer svartsoppa eingeleitet wird, wörtlich übersetzt einer schwarzen Suppe, die allerdings aus dickflüssigem Blut besteht.
    Stattdessen treffen wir uns mit Arbeitskollegen und den Freunden, die wir uns gemeinsam erarbeitet haben, im Kvarnen an der Tjärhovsgatan. Am Eingang zum Bierkeller müssen wir wieder einmal unsere Jacken abgeben, denn einfaches Über-die-Stuhllehne-Hängen ist hierzulande nicht üblich. In so ziemlich allen Clubs und Kneipen fließt der Geldhahn nicht erst an der Theke, sondern spätestens an der Garderobe. Heute bekommen wir für unser Geld wenigstens etwas geboten. Ein paar Herren nehmen uns die Wintersachen ab, schwingen sie sich um die Schultern und klettern damit in vier Metern Höhe an Kleiderstangen entlang wie arme dressierte Affen.
    Wir bestellen eine Runde Bier, essen Rentier in Weizenkuchen mit Pflaumensoße und lauschen Elin. Sie hat am Wochenende Freunde in Amsterdam und Köln besucht und findet es skurril, dass Schuhe in deutschen Läden nach Größensortiert sind und nicht etwa nach Marken oder Form und Aussehen, wie sie es gewohnt ist.
    „Ich ging also nach links zu 39, die anderen zu 44 oder 36 – und dann rannte ich immer kreuz und quer durch den Laden, um mir den Rat der zwei einzuholen. Irgendwann trafen wir uns an der Kasse wieder. Voll schräg! Ist das in Dresden und München auch so?“, fragt sie in einer Gemütslage zwischen be- und entgeistert.
    Wir müssen tatsächlich kurz überlegen, bevor wir bejahen. Zu weit weg sind die kleinen kulturellen Kniffe, als dass wir problemlos in den alten Alltag zurückzappen könnten. Ich selbst fremdelte sehr bei meinem letzten Heimaturlaub im Spätsommer, als mir die Maß im Biergarten gewaltig groß und günstig vorkam und ich mich vor Leberkäsangeboten nicht retten konnte – wo ich doch seit Monaten keine einzige Metzgerei mehr gesehen hatte und Fleischtheken nur mehr aus dem Supermarkt kannte. Meine Untauglichkeit erreichte ihren Zenit, als mich ein Münchner Urgestein vor der U-Bahn zur Seite drückte und mir den Marsch blies: „Ja, sag amoi, wia bläd ko ma denn sei? Hast du koane Augen in deiner Birn drin?“
    Mir war nicht bewusst gewesen, dass ich das grün aufleuchtende Licht an den Waggontüren drücken muss, damit sie aufspringen. Wie bei einer t-bana war ich einfach einen Meter davor stehengeblieben und wartete gelassen, bis sich Sesam von allein öffnen würde.
    An diesem Abend in Stockholm zeigt sich mir
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