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Ein Jahr in Stockholm

Titel: Ein Jahr in Stockholm
Autoren: Veronika Beer
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den Vordermann an der Hose zu reißen, sodass, wer nicht flink genug unterwegs ist, mit blankem Hinterteil in den Pfützen landet. Manchen trifft es heute gemeiner als mich, stelle ich beglückt fest und schlüpfe hinein ins Trockene.
    Mein Optimismus wird unterstützt von etwas Wohnungsluxus: einem Geschirrspüler und schönem dunklen Parkett. Zudem gehört mir eine eigene tvättstuga , eine Waschküche, in der ich schleudern, trocknen und bügeln darf, bis mir schwindlig wird. Das Bad hat Fußbodenheizung und, unüblich und besonders erfreulich: keine dieser seltsamen schwedischen Duschen ohne Wanne und Schiebetür, die aus einer einfachen Brause und einem Sieb im Boden bestehen. Bei einer solchen Konstruktion sprudelt es nicht nur aufschmutzige Körper, sondern ebenso ausgiebig auf Toilettenbrillen, Spiegelschränke und Klorollen. Die Sauerei machen dann saubere Menschen im zweiten Waschgang mit Wischmopp und Fensterabzieher rückgängig, so gut es geht. Doch mir gehört eine Badewanne, sogar mit Duschvorhang. Wenn das mal nichts ist.
    Mein WG-Zimmer ist eher spärlich eingerichtet. Der Schrank im Eck gemahnt an die Stabilität eines Kartenhauses. Der Tisch am Fenster ist Eiche rustikal, die Matratze aus durchgelegenem Schaumstoff. Einer fremdelt in diesem Sperrmüllambiente und erklärt sich solidarisch mit mir: ein antiker Mahagoni-Kasten, auf dem ein Fernseher thront. Die Schubladen sind abgesperrt. Weit und breit kein Schlüssel. Doch immerhin: ein dekorativer Anfang.
    Da es nichts zu entdecken, auszupacken und auch niemanden zum Kennenlernen gibt, beschließe ich, jene Ecken des Stadtteils Östermalm zu erkunden, welche ich beim Irrlauf um die Häuser noch nicht begutachtet hatte.

    Der Regen ist vorüber. Als ich über den Innenhof mit der meterhohen Weihnachtstanne, der gehissten Schwedenflagge und tatsächlich auch einem Schwung hoppelnder Hasen auf die Straße laufe, springen die Laternen auf den breiten Alleen an. Immerhin ist es schon drei Uhr, Dämmerstunde um diese Jahreszeit für die Bewohner des 59. Breitengrades. Interessant und schockierend zugleich. Knapp 800 000 Stockholmer teilen sich sechs Stunden Tageslicht. Das muss genügen, schließlich dürfen Mensch, Tier und Pflanze oberhalb des Polarkreises noch eine geraume Weile warten, bis sich die Sonne überhaupt wieder blicken lässt. Wahrscheinlich der Hauptgrund, weshalb das schwedische Norrland derart dünn besiedelt ist. Denn schön ist es allemal.
    Den Lichtmangel versuchen die Hauptstädter durch übermäßig üppige und langzeitige Weihnachtsbeleuchtungauszugleichen. Das entdecke ich, als ich von der Artillerigatan auf den Karlavägen abbiege. Über Glühbirnen schimmern allerorten rote und weiße Papiersterne; an Regenrinnen kräuseln sich Lichtgirlanden und betonen die Maserungen des Jugendstils auf den Häuserfassaden mit dumpfem Schein.
    In Deutschland hatte mich diverse Reklame an den Sankt-Knut-Tag erinnert, derzufolge den schwedischen Tannen zwanzig Tage nach Weihnachten bei der großen Baumplünderung ihr Schmuck geraubt wird. Jetzt sollten hier eigentlich Gestrüppbündel aus den obersten Fenstern fliegen. Allüberall. Stattdessen zieren noch immer prächtig grüne Nordmanntannen die Wohnzimmer und siebenarmige Leuchter die Fensterbänke. Knut ist und bleibt ein Eisbär aus Berlin.
    Ich spähe in eine Küche und entdecke einen Kronleuchter, an dem violette Glaskugeln neben Strohsternen herrliche Effekte an die Decke werfen. Darunter sitzt ein Mädchen, das mir zuwinkt. Die Frau daneben erkennt unsere Kommunikation nicht und lässt die Jalousie nach unten, ehe ich reagieren kann. Ich muss so bald wie möglich Schweden kennenlernen, um genauere Einblicke in ihre Lebensgewohnheiten zu erhalten.

    Erst einmal aber muss ich essen. Da trifft es sich gut, dass alle dreißig Meter die Leuchtschrift eines Supermarktes durch die Finsternis sticht, die tägliche Öffnungszeiten von 7 bis 23 Uhr verspricht. Zur Sicherheit greife ich mir drinnen zuallererst zweimal Deo, zweimal Waschgel und zwei Zahnbürsten aus dem Regal, denn:
    Ta två, betala en! Nimm zwei, zahl eins,
empfehlen rote Papp-Plakate, und weil ich hier fremd bin, mache ich natürlich, was mir gesagt wird. Wer weiß außerdem schon, ob ich meine Koffer heute noch sehe – und ob überhaupt. Mit Blick auf die Kronen-Preise wird mir dann doch mulmig zumute. Wer München gewohnt ist, dachte ich,wäre andernorts dagegen gefeit, Etiketten auf ihre Ernsthaftigkeit überprüfen zu
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