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Ein Jahr in Stockholm

Titel: Ein Jahr in Stockholm
Autoren: Veronika Beer
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Orientierungsproblemen.
    Im Dauerdunkel hatte ich es bald aufgegeben, so etwas wie eine Blütenkultur am Fenster zu züchten. Selbst Asparagus und Christdorn sahen an besonders schwarzen Tagen aus wie Trauerweiden. Deshalb hatte ich beschlossen, mein Fensterbrett mit einem Stück Natur zu bevölkern, das wir beim ersten Schwächeanfall verspeisen konnten.
    In Schweden steckt der Salatkopf im Tontopf – ein Wissen, um das ich Caro voraus war, da ich meine Blamage bereits bei einem Supermarktbesuch im Tallinn-Urlaub vollzogen hatte. Unfähig, den Sinn auch nur eines estnischen Worts zu erahnen, hatte ich mich in der Gemüseabteilung vor eine Verkäuferin gestellt und sie in der weltweit gültigen Pantomime-Sprache gefragt, ob man die uns umgebenden Waren denn tatsächlich essen könne. Die Frau hatte so erschrocken dreingeguckt wie ein Reh im Scheinwerferlicht und war ohne Antwort im Grünen verschwunden.
    Es schellt an der Wohnungstür. Durch den Spion erkenne ich die hoffentliche Gunilla mit einem Mann, ihrem eigenen vermutlich. Gunilla stellt sich als Gunilla vor, ihr Mann als Gustav. Beide haben sich ein strammes Programm für den Abend überlegt.
    Gunilla gibt Caro und mir eine Führung
durch die Wohnung (knapp fünfzig Quadratmeter, die wir inzwischen sehr gut kennen),
durch das Haus (einen hässlichen Betonkomplex, den wirnicht unbedingt kennenlernen wollen);
durch ihre Riesenwohnung eine Etage tiefer (praktisch vier Wohnungen am Stück, aus denen wir einige Zeit nicht mehr hinausfinden);
um das Haus herum: unter anderem zur Abfallgarage (elf Container gleichen Inhalts, wo getrennter Müll folglich wieder zusammengeschüttet wird) und
zu den Löchern in der Wand im Hausflur, durch die aus jedem Stockwerk der in Plastik verpackte Hausmüll sturzfliegt. (Da die Luken aussehen wie Waschmaschinen, sind Missverständnisse programmiert. Ein älterer Herr wirft ein paar Tage später zwei Hosen und ein zusammengelegtes Hemd in die Öffnung – mit dem Auftrag wohl, dass beide sauber heimkehren mögen.)
    Wir haben Mühe, geistig und physisch mit Gunilla Schritt zu halten. Als wir mit einer Menge neuer Schlüssel in die Wohnung kommen, hat Gustav daumengroße Löcher in alle sechs Türrahmen gebohrt. Gerade balanciert er auf zwei Cocktailstühlen und versucht in einem gefährlichen Wackelmanöver, mit Draht Ethernetkabel in den Aussparungen zu verzurren. Wir hatten angemerkt, dass es bislang nichts war mit der versprochenen Internetverbindung, aber deswegen muss sich ja niemand die Beine brechen. Ich halte einen Stuhl und einen Unterschenkel von Gustav so fest ich kann und versuche nicht über den ulkigen Zustand zu lachen, als ich Caro spiegelverkehrt gleiche Dienste leisten sehe.
    Kurz darauf ist mitten im Hochtechnologieland Schweden ein Dutzend Kabel quer über die Wohnung verteilt, ausgehend von der großen Schaltzentrale hinter der Küchencouch. Sie hängen teils auf Scheitelhöhe, schlängeln sich wie bei Tarzan die Lianen, sind die Attraktion bei Gästen – und quittieren Menschenkontakt mit sofortigen Aussetzern.Caro sagt, was sie immer sagt, wenn sie außer sich ist: „Tolle Wurst!“ Sie hatte über das Internet mit ihrem Freund telefoniert – bis Oskar beschloss, dass die Kabel vor dem Kühlschrank nerven und umgehend abzuhängen sind. Die Leitung ist tot, und jetzt muss er dran glauben, denke ich bei dem Rabatz im Flur.
    Caro schlägt klare Töne über Oskars WG-Untauglichkeit an, die sich schon in den ersten Tagen eklatant offenbart habe. Das Zusammenwohnen einiger Fremder auf engstem Raum ist hier einfach nicht so verbreitet wie in deutschen Großstädten. Als Oskar verlegen kichert, weil er mit der direkten Kritik überfordert ist, und Caro die Zornesröte ins Gesicht steigt, ist es höchste Zeit, auf die Party zu gehen.
    Sanne, eine Arbeitskollegin von Caro, hat uns eingeladen. Sie wohnt dreihundert Meter Luftlinie entfernt und will uns die schwedische Fetenkultur nahebringen. Phase eins: geselliges Vorglühen bei ihr zu Hause, da der mitgebrachte Alkohol aus dem systemet im Gegensatz zu den Cocktails in den Bars noch halbwegs bezahlbar ist. Phase zwei: hektisches Aufspringen gegen elf, dann im Gänsemarsch zum Östermalmstorg, wo Männer ohne Jacken und Frauen in Miniröcken ausgiebig Schlange stehen wollen, um dann in den Clubs von früheren Fußballgrößen und russischen Bordellbesitzern mit allerhand Prominenz durch die Nacht zu feiern und auf der Toilette am Flachmann zu nippen. Phase drei:
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