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Ein Jahr in Stockholm

Titel: Ein Jahr in Stockholm
Autoren: Veronika Beer
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heimliches Ausscheren aus der Gruppe auf dem Nachhauseweg, um beim Ausnüchterungsnickerchen am Straßenrand neue Bekanntschaften zu schließen.
    Vor diesem Labsal aber sitze ich noch im Warmen neben Elin, meiner ersten schwedischen Bekanntschaft außer Haus, der ich berichte, wie ich Stockholm bei der Interrail-Durchreise für mich entdeckt habe. Das geht noch ganz gut. Ein Jahr Sprachkurs an der Volkshochschule bringt mich beim Zuhören jedoch sofort an meine Grenzen. Ich warte auf dieChance, Signalwörter aus Unterhaltungen zu filtern, um sie in meinem Kopf sinnvoll zusammenzustöpseln. Allerdings sind die riksvensk , also günstigerweise fast dialektfrei sprechenden Stockholmer in ganz Schweden für ihr Sprechtempo verschrieen – im Gegensatz zu den Schonen im Süden, die sich auf jeden Vokal setzen und ihn genüsslich breit drücken. Die Österreicher Schwedens sozusagen. Der Hauptstädter spricht in etwa jede dritte Silbe aus – für meinen Bedarf viel zu wenig. Ich brauche eine Auszeit vom Kopfzerbrechen. Caro ist im Pulk verschwunden.
    „Wo ist Lars?“, frage ich Elin. „Lasse? Jante settan!“ , sagt sie – wieder so eine unbegreifliche Silbenkombination, die meinen Fluchtinstinkt verstärkt.
    Ich entdecke ihn in der Küche. Lars ist Schwede, groß, blond, sonnenverwöhnt. Und des Deutschen mächtig. Nach zwei Jahren, die er in Hamburg gearbeitet hat, ist er in seine Geburtsstadt zurückgekehrt. Sanne hatte uns einander vorgestellt, und wir hatten über den Schneesturm philosophiert, in den die meisten Gäste auf dem Weg zur Party geraten waren. Er hatte auf ihren Köpfen die verrücktesten Frisuren kreiert, die wir wie Schäfchenwolken zu deuten versuchten.
    „Jante settan“ , wiederhole ich und erliege kurz dem illusionären Wunsch, dass auch ihm die vorgeworfenen Sprachbrocken Rätsel aufgeben. „Jaha. Jag har inte sett honom, meinst du wohl. Wen hast du denn nicht gesehen? Suchst du jemanden? Ist nicht leicht am Anfang mit den Gesprächen, was?“ – „Ach, frag nicht! Ich komme mir richtig dumm vor.“
    Lars lächelt, drückt mir eine Tasse glögg in die Hand und ruft das, was ich ständig von Schweden höre, wenn eine Portion Gelassenheit vonnöten ist: „Ta det lugnt!“ Gut, ich nehm’s locker. Anders geht es wohl auch nicht.
    Die über die Nacht ertanzte Entspannung hält wunderbar an, bis Caro und ich nach Hause kommen. Auf der Toilette hängt für sie rosafarbenes Klopapier mit eingestanztenHerzen. Die schwedische Art der Konfliktbewältigung werde ich mir noch genauer anschauen, denke ich belustigt, als ich mit müden Gliedern auf meine Matratze am Boden krieche. Mein Puls ordnet sich friedlich dem der feiernden Stadt unter. Sie und ich, wir harmonieren schon ganz gut.

    Jetzt:
    Augen zu.
    Und durch.

februari
    Die Stadt ist eine Wolke aus Zimt. An jedem Eck treffe ich auf herrliche Gerüche und jage ihnen hinterher wie Tom Jerry und Jerry dem Käse. Meistens sind es kanelbullar , die Neuankömmlinge wie mich über alle vierzehn Zentrumsinseln duftwandeln lassen. Die gemein guten Hefekringel sind mit einer Ladung Zimt und Kardamom gefüllt und liegen unter Hagelzucker begraben. Bei Caro und mir schlägt dieses Aroma an wie die Glocke bei Pawlow’schen Hunden. Es hält uns in seinem Bann und ist schuld daran, dass wir in den ersten drei Wochen vier Kilo zunehmen. Jeweils.
    Hinzu kommen besondere Anlässe wie fettisdagen , der fette Dienstag – zeitgleich zum Fat Tuesday in den USA. Allerdings werden in Schweden keine Wahlen abgehalten, sondern am letzten Tag vor der Fastenzeit semlor gebacken, Hefebälle, die ausgehöhlt werden. Das weiche Innere wird mit Marzipan, Milch und Sahne vermischt und dorthin gesteckt, wo es hergekommen ist. Hefedeckel drauf, und dann schlemmen Caro und ich wieder – diesmal mit unserer Schwedin Elin in der Küche. Sie hatte das Rezept, stand vor der Tür, und wir waren sehr hungrig. „Isst du noch, oder platzt du schon?“, fragt mich Caro bei der dritten semla , und ich lache so hektisch, dass ich beim Luftholen den Puderzucker schnupfe und bis in die Nacht von Niesattacken befallen bin.
    Ich habe Annoncen und Aushänge gelesen und Anfragen durch Stockholm geschickt wegen eines Gelegenheitsjobs. Sie sollen mich an Land und Leute heranführen und mich neben meiner Arbeit als freie Korrespondentin für Zeitschriften und Zeitungen über Wasser halten in diesem Ortan der Ostsee, der auch innerhalb der Stadtgrenzen so viel davon besitzt. Riddarfjärden, ein
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