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Ein Jahr in Stockholm

Titel: Ein Jahr in Stockholm
Autoren: Veronika Beer
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müssen.
    Doch was ist das? Eine Wand, zwei Meter hoch, zwanzig Meter lang, die alles von der Kuh beherbergt. Zu verstehen sind noch die verschiedenen Fettstufen von standardmjölk , mellanmjölk , lättmjölk und minimjölk . All diese Milch gibt es aber auch in der Bio-Variante, in „laktosefrei“ und mit Fruchtgeschmack. Dann sind da lättfil , filmjölk und fjällfil aufgetürmt. Fil im Allgemeinen, so meine Interpretation beim Schütteln, ist dickflüssige Milch. Dies ist aber nur schwer auszumachen, da alles, aber auch alles im Tetrapak steckt. Weil den die Schweden erfunden haben, dominiert er die Regale. Nicht fehlen dürfen dort hälsofil, a-fil, f-fil, långfil, gräddfil, matyoghurt, mezeyoghurt, k-yoghurt, fjällyoghurt, lättkefir, gammaldags mjölk, lattemjölk, baristamjölk sowie ihre Kollegen keso und kesella und das alles wiederum in x Nuancen, die entweder in Richtung Sahne, Crème fraîche oder Kefir gehen. Du liebes Bisschen. Hier gibt es tatsächlich alles, was der Milchmarkt je hervorgebracht hat. Nein, halt: alles außer dem Quark, den ich wollte. Sehr eigenartig.
    An der Kasse sortiert eine ältere Dame ihre Kronen und Öre auf dem Laufband, bevor sie diese nach und nach durch einen Silberkasten klimpern lässt. In Deutschland hätte schon längst jemand zu stänkern begonnen, andere wären hektisch von einem Bein aufs andere gestiegen. In Schweden ist stå i kö , das leidige Schlangestehen, hingegen Volkssport. Ebenso wie Telefonieren übrigens. Es gibt mehr Hörmuscheln als in London, Handygespräche laufen quasi zum Nulltarif, und dementsprechend klemmt auch fast jedem eine Freisprecheinrichtung am Ohr. Dieses Alltagsphänomen erschließt sich mir alsbald – und dennoch entfährt mir immer wieder eine Antwort, wenn unsichtbar telefonierende Leute Fragen stellen und mir dabei in die Augen sehen.
    So zumindest harren die Kunden vor mir gelassen derDinge, plaudern vor sich hin, Wort an Wort, Glied an Glied, bis sie an der Reihe sind. Es dauert. Sehr lange. Irgendwie jedoch hat diese Warteschleife etwas Meditatives: Da hätten wir einmal: die Langsamkeit in Person, und dahinter: die geballte Gemütsruhe. Ein Volk wie Buddha.

    Zuhause bin ich plötzlich nicht mehr allein. Hinter einer Tür am Eingang rumpelt es. Ich bin unschlüssig, ob ich klopfen soll, hüsteln oder stehen bleiben, und ziehe mich stattdessen in die Sicherheitszone meines Zimmers zurück. Dort ist es allerdings nicht lange sicher. Herein kommt eine junge schwedenblonde Frau, die Kleidung aus meinem Wackelschrank räumt. Beim Hinausgehen falle ich ihr auf. „Oh, ’tschuldige, hab dich nicht gesehen“, sagt sie auf Deutsch und streckt unter dem Klamottenstapel eine Hand hervor: „Ich bin die Caro. Und du bist Vero. Wart mal kurz.“ Sie trägt die Sachen ins andere Zimmer, von wo aus ich es wieder rumpeln höre.
    Was für ein Chaos! Ich habe schon viel, aber noch nie erlebt, dass WG-Mitbewohner ihre Sachen über alle Zimmer verteilen. Oder ist heute großer Aus-, Ein- und Umzugstag? Das jedenfalls ist Caro. In ihrer Annonce auf der Stockholmer Wohnungssuchplattform im Internet hatte sie sich so beschrieben:
    Ich (w), 26, Nichtraucher, suche möbliertes Zimmer in netter WG. Waschmaschine wäre super. Ohne Internetanschluss gehe ich ein wie eine Blume ohne Wasser. Komme aus Dresden, wo ich bislang mit Freund und Hamster zusammenlebe. Doch die müssen vorerst in Sachsen bleiben ... Freue mich daher, jemanden kennenzulernen, der das „Abenteuer“ Schweden mit mir wagt. Gemeinsam sind wir stark. ☺ Bis dahin tschüssi, Carolin
    Seit dieser Präsentation ist sie mir sympathisch. Und sie ist mir eine Verbündete in der Fremde unter Fremden. Nebenihr und mir soll eine dritte Person in der Wohnung leben. Meine Vermieterin hatte mir in einer E-Mail Flugbegleiterin My als sehr nett und schwedisch präsentiert, allerdings vor meiner Abreise knapp berichtet:
    My wird nicht in die Wohnung einziehen, sie muss in eine andere Stadt. Stattdessen wohnt da nun ein lieber Mann, der Oskar heißt. Oskar ist Schwede. Er arbeitet beim Fernsehen. Frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr.
    Oskar also. Ob er das vorhin gewesen war? Der, der nie mehr wiederkommen wollte? Ein kurzes Gastspiel. War doch ein Haken am neuen Heim? – „Fika?“ , fragt Caro in meine Richtung und reißt mich aus den Gedanken. Sie hat mich von der Türschwelle aus eine Weile beobachtet. „Macht man hier so. Was ist eigentlich mit deinem Bett passiert?“

    Nun
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