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Ein Jahr in Stockholm

Titel: Ein Jahr in Stockholm
Autoren: Veronika Beer
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nächtlichen minus acht Grad. Darauf muss angestoßen werden.
    Bloß womit? In Trauben von Nordlichtern quetschen wir uns an die Vitrinen, um Zugriff auf allerlei snaps , vin und starköl , völlig normales Bier, zu gewinnen. Doch anders als in unserem liberalen Einkaufszentrum darf in diesen Geschäften oft nichts angefasst werden. Das bedeutet: Der Kundebegutachtet die Vielfalt und bestellt an der Kasse eines von 7000 Gär- und Brennprodukten aus vierzig Ländern. Etliches hier drinnen aber ist schwedischer Herkunft, auch wenn ich hinter Absolut Vodka die Russen vermutet hätte. Absolut schwedisch. Auch die Preise. Da kann ein bisschen Apfelmost so viel kosten wie zwei Tage Skiurlaub im noblen Norden von Åre.
    Wir greifen uns den günstigsten Rotwein ohne Lakritzgeschmack und versuchen, auf direktem Weg zu den Kassen zu gelangen. Nicht so einfach. Von gesittetem Schlangestehen ist im systemet nichts zu sehen. Besonders in den Rum-, Wodka- und Likör-Fluren herrscht hektisches Treiben, was aus der Ferne einem massenhaften Geschunkel gleicht und sich Richtung Kasse in eine schwungvolle Polonaise fortsetzt.
    „Heute ist es besonders wild“, berichtet Caro. „Davor haben die mich auf der Arbeit gewarnt. Ist das Wochenende nach dem 25., an dem die Schweden ihr Gehalt kriegen.“ – „Und das kippen sie sich gleich in einem Zug hinter?“, frage ich baff.

    „Just det“ , bestätigt Oskar am Abend, als er sich ein Bier öffnet.
    Auch wir waren uns am allerersten Tag begegnet. Ich hatte mich trotz der Aussicht, danach in meine verschwitzte, verdreckte Kleidung zurückschlüpfen zu müssen, für eine Dusche entschieden. Abgeschlossen hatte ich auch, wie ich meinte – bis ein dunkelhaariger Mann auf dem Badvorleger stand und mich entgeistert betrachtete.
    Skandinavische Türen sind tückisch, weil sie nach keinem erkennbaren Prinzip mal in Richtung des Riegels verschlossen werden und genauso oft dagegen. Viele Fenster wiederum können nur geöffnet werden, indem man einen Knauf mit der einen Hand zur Decke zieht und gleichzeitig mit der anderen derart besessen an einem Hebel ruckelt, als bekommeman soeben den Teufel ausgetrieben. Einfaches Kippen für sanfte Belüftung ist nicht vorgesehen. Nachahmenswert finde ich hingegen die Sandwich-Jalousie, die zwischen zwei Scheiben klemmt; sie verzwirbelt nicht und verlangt auch nie danach, geputzt zu werden.
    „Und die Alkoholläden brauchen wir, weil wir sonst den lieben langen Tag betrunken wären.“ Oskar gibt sich erst gar keine Mühe, sich und seine Landsleute in ein besseres Licht zu rücken. Er findet es kulturell erstrebenswert, sich am Wochenende seinen Gelüsten hinzugeben; Alkohol ist eines davon.
    Nüchtern betrachtet ist seine Einschätzung nicht völlig verkehrt. Amerikanische und schwedische Forscher bringen in regelmäßigen Abständen Studien über die Folgen einer Monopolabschaffung heraus, in denen von einem um dreißig Prozent steigenden Konsum und 16 000 zusätzlichen Krankheitstagen pro Jahr die Rede ist. Dennoch hat es der systemet in einem grenzenlosen Europa immer schwerer, sich zu behaupten. Mehr als die Hälfte aller alkoholischen Produkte in Schweden stammt mittlerweile vom Schwarzmarkt und aus dem Ausland.
    Obendrein ist Schiffchenfahren im Norden sehr angesagt – wohl der natürlichen Verbindung der Schweden zum Wasser wegen, aber auch, weil Alkohol auf hoher See weder verzollt werden muss noch mit den sonst so hohen Steuern belegt ist. Selbst die Fahrkarten dafür werden verschenkt oder verscherbelt, sodass es kaum zu glauben ist, dass einem an Bord keiner Zeitschriften-Abos oder Heizdecken aufzwingen will. Nach den obligatorischen Bingo-Runden wird dermaßen ausgelassen gefeiert und gegrölt, dass mir die Reeperbahn und das Oktoberfest plötzlich wie gesittete Altherrenstammtische vorkommen. Am Stockholmer Hafen erkennt man die Tagesausflügler dann an den Handkarren, auf die sie sich stützen und die für die bessere Balance palettenweisemit Schnaps- und Bierkisten beladen sind. Genau so hat Oskar diverse Male Finnland, Lettland und Norwegen bereist, ohne je von Bord zu gehen. Und er ist immerhin der erste Eindruck, den ich von einem Schweden bekomme.

    Weil mich die sterile Klinik-Atmosphäre in meinem Zimmer ganz krank macht, beklebe ich die Wände mit Fotos, Kalendern, Landkarten und Nahverkehrsplänen. In Kombination mit den Salatköpfen auf der Fensterbank wirkt das, als wohne hier eine Schildkröte mit Fernweh und
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