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Ein Jahr in Stockholm

Titel: Ein Jahr in Stockholm
Autoren: Veronika Beer
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werde ich eingeweiht. Zunächst in die fika -Kultur: fika bedeutet Kaffee trinken, wofür die Schweden extra ein viel strapaziertes Verb erfunden haben, das gleichsam allgegenwärtiges Substantiv ist. Dricka kaffe klingt für das liebste Hobby einer ganzen Nation einfach zu lahm. Ein Schwede trinkt mehr als 1700 Tassen Kaffee pro Jahr, also fünf Tassen täglich. Demnach führt er die Weltrangliste des Pro-Kopf-Verbrauchs an und wird – wenn überhaupt – nur noch knapp vom finnischen Nachbarn geschluckt.
    Um dem vorzubeugen, werden Kaffeekränzchen fest in den Tagesablauf eingebettet. Wann immer Zeit ist, wird eine fika -Pause eingelegt, im Café, im Aufzug, im Bus, beim Arzt, im Park, beim Nachbarn, an der Uni, auf der Straße, zu Hause, überall, vor allem aber am Arbeitsplatz. Dort betreiben die Angestellten einmal vormittags und mindestens einmal nachmittags genüsslich diese Prozedur, bei der absolut niemand stören darf. Kein Spaß. So eine fika ist eine ernste Sache – und nichts, womit sich Caro vor ihrer Arbeit im tyska turistbyrån , der Deutschen Zentrale für Tourismus, drückt: „Es istein informelles Treffen unter Kollegen, um sich vernünftig und ohne Stress austauschen zu können, weißte?“ Interessant und raffiniert, denke ich. Hier bin ich richtig. Und mit Tasse Nummer drei liege ich gut im Rennen.
    „Haste denn auch so seltsame Angebote bekommen?“ Caro spricht von den ominösen Wohngelegenheiten auf der monatelangen verzweifelten Suche und eröffnet die Parade der Kuriosa mit einem Durchgangszimmer, in das sie sofort hätte einziehen können. „Dahinter wohnte erstens: ein Chilene. Und noch mal eins weiter hinten: ein Medizinstudent aus Madrid.“ Mühelos setzt sie die Reihe mit Beschreibungen von Zimmern mit Handtüchern statt Türen und dem Verbot von Schinkenkonsum fort. „Die ersten Nächte musste ich dann tatsächlich bei vier anderen auf so ’ner Spielwiese verbringen, und die neben mir schlief immer nackt. Nie wieder Couchsurfing, sag ich dir!“
    Ich kontere mit der Möglichkeit, in einem Bauwagen im Garten zu wohnen und die Toilette im Haus mitzubenutzen, nach zeitlicher Absprache sogar die Dusche. Und mit der Option, das Zimmer bei einer fünfzigjährigen Dänin zu beziehen, die nachts im Wohnzimmer Orakelsitzungen abhält. „Einem Kalle sollte ich Ganzkörperfotos zuschicken, auf denen ich nicht zu viel trage“, erinnere ich mich an eine Annonce, die mit „Billiges Zimmer im Zentrum, nur für Frauen“ überschrieben war: „Und meine exakten Maße sollte ich nennen.“
    Wir versuchen, trotz alledem fest an das Gute im Stockholmer zu glauben.
    Das Lachen vergeht mir kurzzeitig, als ich in Caros Zimmer spähe: ein fensterloses Kabuff ohne Deckenlicht. Um den Grund für die Misere zu erkennen, braucht es wenig Scharfsinn. Zwischen Caros und meinem Raum war nachträglich eine bessere Pappwand eingezogen worden. Das große Fenster des ehemaligen Wohnzimmers hatte ich abbekommen.Meiner Mitbewohnerin blieben dunkle siebeneinhalb Quadratmeter für umgerechnet 350 Euro.
    „Deshalb ziehst du wohl schon wieder aus?“, frage ich und bin ein bisschen bange. Gerade hatte ich sie lieb gewonnen. Eine fika bringt Menschen eben zusammen. „Quatsch“, erklärt sie, „ich ziehe nur von deinem Zimmer in mein kleines. Das muss reichen in dieser reichen Stadt. Bis heute morgen hat da Ola drin gewohnt. Ist aber jetzt weg, so wie ich das sehe.“ – „Vorhin war auch noch ein Mann da“, berichte ich. Caro grinst. „Nu, klar! Ola ist ja ein Männername. Hab ich auch nicht gleich begriffen.“
    Es tut gut, eine Leidensgenossin zu haben, die mich heil über die ersten Tage bringt. Ich halte ihr wortlos meine Tasse zum Nachschenken hin. Das heißt påtår , „Träne drauf“, und ist auch in den Cafés meist kostenlos. So viel zumindest habe ich kapiert.

    Mein erster Samstag in Stockholm beginnt schwedisch-traditionell in einem systembolaget , kurz systemet , einer staatlichen Institution, die das Monopol auf Alkoholverkauf ab 3,6-Prozentigem hält. Um Alkoholprobleme einzudämmen oder zu verhindern, soll ein vernünftiger Handel ohne Profitgier betrieben werden. So steif erklären stylische junge Leute auf Plakaten am Eingang Caro und mir die Existenzberechtigung derartiger Läden. Auch mein Gepäck ist von seinem dreitägigen Ausflug nach Bukarest zurückgekehrt. Zwar sind Föhn und Fotochips defekt, aber ich bin überglücklich über meine Unterwäsche und einen Schlafanzug bei
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