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Ein Jahr in Stockholm

Titel: Ein Jahr in Stockholm
Autoren: Veronika Beer
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Pirouetten zu bezirzen. Hilfesuchend blickt Oskar zu Ylva herüber. Die aber macht keine Anstalten, ihn aus seiner misslichen Lage zu befreien: „Ta det lugnt!“
    Dafür gebe ich ihr einen glögg aus – auf Gamla stan, dem zweiten und letzten Dauer-Weihnachtsmarkt der Stadt. Nur Skansen und Gröna Lund sorgen am Wochenende für Abwechslung, ganz anders als in Deutschland, wo alles, was auch nur im Entferntesten an einen Platz erinnert, sofort von Bretterbuden für Holunderglühwein und Apfelringe in Beschlag genommen wird. Aber Ylva hat Recht: Mit dem Lichterschmuck, dem Zimtduft und den Wurstständen an jedem Eck ist Stockholm ohnehin ein einziger Weihnachtsmarkt. Das unterstützt der Kirchturm in der Altstadt, der ohne Unterlass „Stille Nacht“ und „Jingle Bells“ spielt. Dazuschunkeln Oskar, Ylva und ich, nein, wir „schwanken Arm in Arm im Takt“, wie es die Schweden umständlich bezeichnen. Pling-pling. Plöng-plöng. Was uns weihnachtlich stimmt, dürfte die Anwohner zur Verzweiflung dudeln.
    Der Weg zurück führt uns an zwei milchig beleuchteten Plastik-Elchköpfen vorbei zum Grand Hôtel, wo die Limousinen hupen. Es hat zu nieseln begonnen, weshalb Chauffeure ihre Gäste mit Schirmen zu den Wagen geleiten. „Das sind die Nobelpreisträger“, wirft Oskar ein, nachdem wir das Treiben eine Weile beobachtet haben.
    Es stimmt wirklich. Den großen Tag hatte ich völlig ausgeblendet, nachdem es mir weder gelungen war, mich für die Preisverleihung im konserthuset noch für das Bankett im stadshuset zu akkreditieren. Auch Plan B, per Losverfahren an einen der 170 Plätze für Studenten zu kommen, ist schiefgelaufen. Jetzt stehe ich hier und muss zusehen, wie Fernsehteams die Wissenschaftsprominenz filmen, die sich auf den Weg zur feierlichen Ehrung macht. Allerdings hätte ich auch niemandem einen Namen, ein Forschungsgebiet oder eine Nation zuordnen können.
    Doch! Eine Person kenne ich. Oskar auch. Zwischen all den Herren in Fracks stöckelt Gunilla heraus, die wiederum wie ein Hollywoodstar zurechtgemacht ist. Sie hatte mir einmal berichtet, dass sie und Gustav eine ausschweifende Hochzeit im Grand Hôtel gefeiert hatten. Von Bengt weiß ich, dass sie mit ehemaligen Ministerpräsidenten verwandt und sogar mit nordischen Staatschefs und Königshäusern eng bekannt sind. Somit ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass sie in Nobelkreisen verkehren.
    „Wie schade, dass das mit dir und Linnéa nicht funktioniert hat“, sagt Gunilla, als sie mich entdeckt. Im Augenwinkel sehe ich, wie sich Oskar darüber freut, dass es noch WGuntauglichere Menschen als ihn gibt. Ich berichte ihr knapp, dass ich mich in der neuen Wohnung sehr wohlfühle – undbreche ab, da ich wie so oft das Gefühl habe, ihre Zeit zu stehlen. Sie muss zur Preisverleihung, und bevor ich sie überreden kann, mich für ein paar Minuten einzuschleusen, ist sie weg.
    Am Abend verfolge ich dann in Live-Mitschnitten im Fernsehen, wie die Mitglieder der Königsfamilie mit den Preisträgern pärchenweise die Steintreppe herabschreiten, um im mit Tischen und Bänken vollgequetschten Blauen Saal ihre Vorspeisensuppe zu löffeln. Die Moderatoren diskutieren derweil über die Kleider der Damen wie beim amerikanischen Oscar. „Silvia trägt ein wunderbar helles Abendkleid, das perfekt zu ihrem Teint passt. Aber Vickan stellt sie heute alle in den Schatten, so pompös in Pink. Das macht sich auch prima zu den rot-violetten Blumengebinden auf den Tischen, findest du nicht, Filipa?“ – „Absolut. Besser sieht unsere Kronprinzessin wirklich nur noch im Hochzeitskleid aus, hihi …“
    Mitten beim Hummer wird der Literaturnobelpreisträger zum Interview gebeten. Das wird stilecht auf Französisch abgehalten, was für den Moderator offenbar überhaupt kein Problem darstellt und den Zuschauern wiederum mit Untertitel serviert wird.

    Es ist schwer, sich in dieser Dunkelheit wach zu halten. Nur der Husten einer Frau in den vorderen Reihen, der durch das hohe Schiff der tyska kyrkan , der deutschen Kirche auf Gamla stan, hallt, bewahrt mich davor wegzudämmern. Irgendwann öffnet sich glücklicherweise das Seitenportal, und im fahlen Licht der Laterne im Innenhof erkenne ich die Umrisse von Jungen, die als Sternknaben, Pfefferkuchenmänner und Weihnachtswichtel verkleidet sind und sich am Altar postieren. Es folgen Pollie und weitere Schülerinnen als Jungfern, die Goldsterne und brennende Kerzen vor sich hertragen. Ihnen voran schreitet die Lucia,
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