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Ein Jahr in Stockholm

Titel: Ein Jahr in Stockholm
Autoren: Veronika Beer
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gesprochen haben – und ähnlich wirkt es nun bei Bertil. Das kubb- Spiel ist den Nachbarn erspart geblieben, doch nun schallt der Gesang des Onkels durch die Wände. Als Showfinale schmettert der ein theatralisches, lang gezogenes
    Ta dej sen dito en, dito två, dito tre.
    Så dör du nöj-da-re!
    Weil er uns gerade aufgefordert hat, von unserem Getränk noch ein, zwei, drei Schluck zu nehmen, damit wirglücklicher sterben, heben wir einen auf unseren einmaligen Bertil.
    Bevor der weiter in seiner Repertoirekiste kramen kann, erzählt Lars von seinen Ideen für den Umbau von Slussen, für dessen altmodisches und wenig attraktives Verkehrskreuz so nah am schmucken Gamla stan mehrere Projekte zur Diskussion gestellt sind. Sein Architekturbüro ist der Favorit für den Zuschlag, was bedeuten würde, dass er endlich dauerhaft in Stockholm arbeiten könnte. Während der begeisterten Erklärung mehrstöckiger Brücken dort, wo Salz- auf Süßwasser prallt, bekommt der Lachs auf seiner Gabel wieder Meerestemperatur.
    Beim Dessert vergesse ich, wie voll ich bin, und probiere von allem, was wie im Schlaraffenland zu mir wandert: von der risgrynsgröt , einem zimthaltigen Reisauflauf, vom Schokoladenkuchen, Mandelkuchen, Apfelpaj, Beerenpaj, Eis, Eiskonfekt. Zunächst aber tue ich es allen anderen gleich und rühre wild in einer Grütze. „Wer eine Mandel findet, wird nächstes Jahr heiraten“, erklärt Stig. Seine Mutter also. Das wird spannend, denke ich noch, als ich mich auf die Couch lümmle und beim wichtigsten Termin des Tages, wenn Donald Duck alias Kalle Anka um 15 Uhr über die Mattscheibe schnattert und ganz Schweden nostalgisch kichert, zufrieden einschlafe.
    Ein paar Stunden später bringt der jultomte , der Weihnachtsmann, die Geschenke. Er ist dem heiligen Nikolaus nachempfunden – den Weg in eine Christmette finden dennoch nur die wenigsten Stockholmer. Mit schweren Bäuchen lässt es sich eben schlecht laufen. Weil ich mich aber irgendwann wieder bewegen muss, bekomme ich von allen zusammen mein erstes eigenes Fahrrad in der Stadt und falle – außer mir vor Freude – jedem in der Runde um den Hals. Aber auch das ist Pipifax gegen Bertils Jubelschreie, als er sein essbares Pokerset entdeckt.
    Als krönenden Abschluss leiht sich Lars eine mannshohe Pappfigur von seinem Nachbarn und stellt sie zwischen die Sofas und den Flatscreen. Bertil ist der Ersatz für den nicht vorhandenen Weihnachtsbaum mehr als recht. Wir tanzen die små grodorna also um Barack Obama, was den Vorteil hat, dass wir uns dabei besser sehen können und mehr lachen müssen, besonders weil Johan meint, dass sich die armen Frösche nun endlich Hoffnung auf Veränderung machen dürften.
    „Yes, we can!“ , quakt Malin in ihrer besten Stockholmer Quäkstimme. Und ich halte es ganz mit Lisa von den Kindern aus Bullerbü: Eigentlich ist es schade, dass nicht ein bisschen öfter Weihnachten ist.

    Wie verabredet, fahre ich am S:t Staffansdag, dem zweiten Weihnachtsfeiertag, zu Gunilla in die Skeppargatan. Heute sind alle bekleidet, und zwar mit weitem weißem Leinen; die Heizungen suggerieren Mittelmeerklima. Mittendrin nadelt der Christbaum, an den Gunilla Strohfiguren und eine Vielzahl schwedischer Flaggen gesteckt hat. Ich muss ihn einige Minuten bewundern, bevor mir ein Stuhl angeboten wird.
    „Habt ihr denn so was auch schon in Deutschland?“, fragt mich Bengt, worauf Gunilla antwortet: „Ach, natürlich, die kommen doch von dort, dumbum !“ Dann sagt sie entschuldigend zu mir: „Er ist sehr verwirrt und anhänglich zurzeit. Wir haben beschlossen, dass er versucht, allein zu wohnen. Ich habe ihm zu Weihnachten eine Wohnung geschenkt.“
    „Wohin ziehst du denn?“, frage ich ihn. Bengt ohne mammi kann ich mir nicht vorstellen. Mit seinem Minimum an Selbstständigkeit und Maximum an Abhängigkeit ist er das Gegenbeispiel zu Pippi Langstrumpf.
    „Ich bin schon umgezogen – hinauf in eure WG.“ Ach du liebe Güte. Ich danke Linnéa dafür, dass sie mich vor fünf Wochen zu einem Auszug inspiriert hat. Sie selbst wird hierunten einziehen, erfahre ich. Die Nachmieter, die Gunilla für Caro und mich gefunden hatte, müssen jetzt spontan wieder raus. Gunilla findet die Lösung spitze, und ich erkenne die Vorzüge eines peniblen deutschen Mietvertrags, der einen gewissen Kündigungsschutz vor sprunghaften Vermieterinnen wie ihr bietet.
    Gunilla legt meine mitgebrachten Gerbera auf den Tisch, direkt neben eine brennende schwarze
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