Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein Jahr in Paris

Titel: Ein Jahr in Paris
Autoren: Silja Ukena
Vom Netzwerk:
zwanzig Jahren im selben Viertel wohnte. Und da er seltsamerweise bisher nie versucht hatte, mir näherzukommen – nicht, dass ich so eitel wäre, aber ein halbfranzösischer Italiener in Paris, der NICHT flirtet, also bitte –, würde es wohl auch keine Missverständnisse geben. Wahrscheinlich, dachte ich, bin ich zu alt für ihn. Gaetano war vierzig.
    Außerdem – großer Pluspunkt – akzeptierte er mein unsägliches Gestotter, von dem ich zu Hause immer behauptet hatte, es sei Französisch. Das taten andere nämlich nicht. Und das war manchmal zum Verzweifeln.
    Es ist so: Wenn sie dich nicht verstehen wollen, dann verstehen sie dich nicht. Punkt. Ende der Diskussion. Da ist dann nix mehr zu machen. Du kannst wiederkommen, wenn du anständig Französisch gelernt hast, sehr gerne, dann gibt man dir vielleicht eine zweite Chance.
    Man sollte meinen, dass in einer der größten Städte in der Mitte Europas Englisch gesprochen wird? Nun, theoretisch schon. Praktisch kommt man damit nicht im Geringsten weiter, im Gegenteil. Wenn man einen Pariser in seiner Heimat auf Englisch anspricht, geht ein eiserner Vorhang herunter. Die amerikanischen Touristen merken das nicht. Sie trampeln ihn einfach nieder und werden dafür mit der größtmöglichen Verachtung gestraft. Natürlich lernt jeder Franzose in der Schule zwei Fremdsprachen. Er spricht sie nur nicht. Er mag sich nicht anstrengen, nur damit andere ihn verstehen.
    Ich habe es gleich gar nicht erst mit Englisch versucht. Man hat ja auch seinen Stolz, und ich wollte Madame Merseburger keine Schande machen. Ich bin mir allerdings nicht ganz sicher, was sie dazu gesagt hätte:
    „Bon jur, un baguette, si vu plä.“ 2 So ungefähr muss es sich angehört haben. Und natürlich wurde ich prompt zurechtgewiesen: „Voilà, Mademoiselle: UNE baguette!“ Ich hatte „es“ getan. Der baguette , dem heiligen Stangenweißbrot, dem über alles geliebten und zu jeder Tageszeit und Gelegenheit konsumierten nationalen Grundnahrungsmittel den falschen Artikel zugeordnet. Das tun nur Volltrottel und Ignoranten, sprich Anfänger und Touristen. Es heißt la baguette . Und während ich mit roten Wangen aus der Boulangerie floh, schwor ich, diesen faux pas nie wieder zu begehen. Am nächsten Morgen kaufte ich meine Baguette woanders.
    Zum Glück gibt es sehr viele Bäckereien in Paris. 1400, um genau zu sein. Praktisch an jeder Ecke eine. Aber man geht immer nur zu derselben. Am schönsten ist es abends, wenn die Leute von der Arbeit kommen und auf dem Heimweg in der Boulangerie vorbeischauen. Man steht Schlange, die Verkäuferinnen rotieren, man plaudert. Beziehungsweise brüllt man sich schon mal von weitem zu, wie es gerade geht, schließlich ist für einen ausführlichen Schwatz jetzt keine Zeit, und wenn Kunde und Verkäuferin endlich so dicht voreinander stehen, dass man sich unterhalten könnte, geht alles ganz schnell. Blitzartig wird ein kleines weißes Papier um den Baguettelaib gewickelt, Geld wechselt den Besitzer und dann heißt es auch schon „Bonsoir!“ und „Bonne soirée“ . Und dann kommt der beste Moment, wenn man nämlich wieder auf die Straße tritt und noch im Gehen den obersten Zipfel der Baguette abbricht als kleine Wegzehrung – die im glücklichsten Fall noch ein wenig warm zu sein scheint –, als Vorgeschmack des lang ersehnten Feierabends. Die schönste Szene erlebte ich einmal in der Rue Poncelet: Es ist warm, dieAbendsonne scheint noch, ein älterer Herr verlässt mit seinem vielleicht vierjährigen Enkel an der Hand die Bäckerei, beugt sich zum ihm hinunter und der Kleine darf die Spitze abbrechen. Er braucht dazu beide Hände und all seine Kraft, aber am Ende gelingt es und beide, Großvater und Enkelsohn, teilen sich dieses kleine warme Glück am Abend.
    Sie finden, es wird gerade etwas klischeehaft? Mag sein. Aber wen schert das, wer sagt denn, dass die Dinge zwangsläufig leer werden, nur weil sie zu oft schon beschrieben wurden? Außerdem sind wir ja hier erst am Anfang.

    Ich kaufte ein Fahrrad. Das heißt, ich wollte ein Fahrrad kaufen. Man erklärte mich für verrückt.
    „Sie werden dir den Hals brechen!“, sagte Georg nach einer kurzen Analyse des Pariser Autoverkehrs.
    „Wozu? Es gibt doch die Metro!“, sagte Arnaud und meinte: Unser hervorragendes, über Jahrhunderte hinweg verfeinertes öffentliches Transportsystem ist dir wohl nicht gut genug?! (Wobei er selbst niemals etwas anderes bestieg als seinen Renault Espace.)
    „Oh. Bei
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher