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Ein Jahr in Paris

Titel: Ein Jahr in Paris
Autoren: Silja Ukena
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wie sie, fasste ich zwei Entschlüsse. Erstens würde ich einen Sprachkurs belegen und zweitens musste ich so schnell wie möglich eine eigene Wohnung finden. In diesem Moment vermisste ich Georg sehr. „Lass dich nicht fertigmachen von denen“, hatte er zum Abschied gesagt. „Denk immer dran: Auch wir haben große Schriftsteller hervorgebracht.“

    Ich lief viel umher in dieser ersten Zeit, trotz der für den Mai ungewöhnlichen Kälte, fuhr kreuz und quer durch die Stadt, verbrauchte unzählige Metrotickets, bis ich verstand, dass sie im Carnet – im Zehnerpack – billiger sind, undversuchte, den Raum dieser Stadt zu ermessen. Louvre, Madeleine, Marais, Palais Royal, Place Vendôme, Croissants bei Fauchon, Tee in der Galerie Vivienne. Ich kaufte neue Schuhe. Natürlich brauchte ich keine, aber mit den Schuhen ist das so eine Sache bei mir. Ich kann schwer widerstehen. Diese jedenfalls waren sehr sexy, schwarz und mit so einem kleinen spitzen Absatz. Kurz, ich verhielt mich wie eine Touristin, und naiv wie ich war, glaubte ich, Paris auf diese Weise kennen zu lernen.
    Nach einer Woche war ich bereits fix und fertig. Indem ich ihre Plätze abschritt und Denkmäler besuchte, wollte ich diese Stadt begreifen. Aber Paris wäre nicht die Hauptstadt des Raffinements, wenn sie es einem so einfach machte. Sie stellt es schlauer an. Sie erlaubt es jedem, nach Lust und Laune in ihr herumzuspazieren, sie zu fotografieren und romantische Ansichten mit nach Hause zu nehmen. Ihre Seele aber wird man auf diese Weise nicht entdecken. Er ist flüchtig, der Geist von Paris, und weigert sich, freundlich lächelnd fotografiert zu werden. Was nicht bedeutet, dass man ihm nicht auch in der Warteschlange vor der von I. M. Pei gebauten Glaspyramide des Louvre, der längsten Schlange der Welt, begegnen kann, wenn dort zufällig mal ein Pariser steht und einem mit einem überaus höflichen „Après vous“ den Vortritt lässt.
    Die Erkenntnis jedoch, dass es in der Regel nicht ganz so einfach ist, Paris zu verstehen, verdankte ich Gaetano. Er war Italiener, in Rom geboren, Sohn einer Französin und schlug sich in Paris als Fotograf durch. Ich lernte ihn im Metrotunnel unter der Place Charles de Gaulle kennen, nachdem wir etwa eine Stunde lang den gleichen Weg gehabt hatten. Nachdem ich zum dritten Mal hinter ihm eine dieser scheinbar unendlich langen Rolltreppen hinabgefahren war, kam er plötzlich auf mich zu und sagte: „Verfolgen Sie mich etwa?“Ich lief knallrot an, brachte dann aber ein halbwegs selbstbewusstes „Nein, ich wohne hier“ hervor. „Schade“, sagte er nur. Ich war platt. Es war klar, dass jetzt irgendetwas von mir erwartet wurde. Aber was bloß?
    Es war meine erste Begegnung mit diesem kleinen Schlagabtausch, irgendwo zwischen Flirt und Scherz, den der Franzose so liebt. Der nirgendwohin führen, aber unbedingt zu Ende gebracht werden muss. Gewonnen hat, wer das letzte Wort behält. Nur Anfänger scheitern so kläglich auf den ersten Metern wie ich damals. Jeder Franzose hätte mich an dieser Stelle links liegen gelassen, zumal wenn er Pariser gewesen wäre. Sie verachten Touristen nun einmal, jedenfalls solche, die nicht in der Lage sind, eine ordentliche conversation zu führen. Gaetano aber war selbst als Fremder in diese Stadt gekommen, und so hatte ich Glück.
    „Was siehst du?“, fragte er mich, als wir ein paar Tage später auf der Aussichtsplattform des Kaufhauses Samaritaine standen. Was ich sah, war ein Meer von schiefergrauen Dächern, in dem wie Bojen die Wahrzeichen der Stadt schwammen. Sacré Cœur. Triumphbogen. Eiffelturm. Am Horizont die Türme von La Défense. „Sehr gut“, sagte er. „Aber weißt du, das alles ist nur die Oberfläche. „Das Herz“ – er griff sich an die Brust – „das Herz, das musst du suchen. Da unten! Dans la Rue!“ Dann sah er mich mit seinen römischen Augen traurig an: „Du wirst noch viele Schmerzen haben, bis du Paris kennst.“
    Es würde Zeiten geben, in denen ich mich beinahe täglich an diesen Satz erinnerte. In denen ich diese wundervolle Stadt dafür hassen würde, dass sie es mir so schwer machte. Mir die kalte Schulter zeigte und es nicht einmal nötig hatte, mir einen einzigen Seitenblick zu gönnen.
    Zunächst aber beschloss ich, Gaetano zu meinem Freund zu machen. Er hatte mir sieben Jahre PariserLebenserfahrung voraus. Das war lange genug, um alles zu wissen, und kurz genug, sich auch noch einmal auf jemanden einzulassen, der nicht schon seit
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