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Ein Jahr – ein Leben

Ein Jahr – ein Leben

Titel: Ein Jahr – ein Leben
Autoren: Iris Berben , Christoph Amend
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Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom heißt das ja gerne mal. Vorlaut eben. Im Grunde genommen also wie heute halb Berlin … In den sechziger Jahren galt im Internat absoluter Gehorsam, gerade im Sacré-Cœur. Wir waren nur 21 Schülerinnen im Internat, es war das elitärste, was es damals in Deutschland gab. Ich hätte eigentlich gar nicht hingedurft, weil meine Mutter schon geschieden war. Aber in der Volksschule hatte ich eine Klasse überspringen dürfen, von der zweiten in die dritte. Und das war wohl schon ein Bonus. Die Aufnahmeprüfung für das Gymnasium habe ich dann nicht bestanden – ich bin trotz bester Noten durch die Prüfung gefallen.
    Prüfungsangst?
    Prüfungsangst. Bis heute. Mein Klassenlehrer war der Erste, der gesagt hat: »Das gibt’s nicht. Das Mädchen hat nur Einsen, und sie ist die Einzige, die durchfällt!?« Es wurden also psychologische Tests gemacht. Prüfungsangst. Bei mir geht alles innerlich zu, wenn man mich zu etwas zwingen will. Und das Internat hat mich aufgenommen, um mir zu helfen.
    Und warum wurden Sie später der Schule verwiesen?
    Man wurde – neben der klassischen Benotung – jede Woche beurteilt. Jeden Freitagabend mussten wir, alle 21 Schülerinnen, im Refektorium der Schule zusammenkommen und haben eine Benotung für das Verhalten in der jeweiligen Woche bekommen. Und bei mir war die immer so, dass ich am Wochenende nie nach Hause durfte: vorlaut, ungehorsam, Stunde gestört, zu spät zum Beten gekommen. Das waren die Verfehlungen. Die häuften sich, und irgendwann war ich für die Gemeinschaft nicht mehr tragbar. Einmal bin ich auch abgehauen, zu meiner Mutter, und sie hat sich dafür eingesetzt, dass ich trotzdem wieder aufgenommen wurde. Sie musste ja arbeiten, sie konnte sich tagsüber nicht um mich kümmern. Das war der größte Verstoß.
    Wie haben Sie als junges Mädchen darauf reagiert, dass Sie gehen mussten?
    Ich war noch ein Kind. Und ich weiß noch, dass ich mich damals gefragt habe: Was ist anders an mir? Was heißt das, wenn im Zeugnis steht: »Passt sich der Gemeinschaft nicht an«? Vermutlich habe ich versucht, mich besser zu verhalten, aber dann sind die Pferde wieder mit mir durchgegangen. Wie heute auch noch.
    Wie heute auch noch?
    Ich muss mich korrigieren: Heute leide ich eher darunter, dass die Pferde nicht mehr mit mir durchgehen! Ich habe mir ja Disziplin verordnet …
    … mit der das vorlaute Mädchen aus dem Sacré-Cœur nie gerechnet hätte.
    Nie!
    Was hat Sie an Isa Vermehren so fasziniert, wenn sie doch eigentlich für das strenge Sacré-Cœur stand?
    Über ihre wilde Zeit, bevor sie Ordensschwester wurde, wurde nie im Internat geredet, aber wie das so ist mit Dingen, über die nicht gesprochen werden darf: Sie werden umso interessanter. Schon während der Schulzeit hat mich das fasziniert, auch wenn ich es als Teenager natürlich nicht wirklich verstanden habe, was sie genau gemacht hatte.
    Aber  …?
    Was ich verstanden habe, war: Diese Frau hat ein Geheimnis – das fand ich spannend. Und wissen Sie, wie ich zu diesem Film gekommen bin? Ich saß hier im Café Einstein, mit einer Filmproduzentin und Autorin, und plötzlich steht jemand von einem anderen Tisch auf und sagt: »Ich möchte nicht stören, aber wir bereiten gerade einen Film über Isa Vermehren vor. Und ich habe gehört, dass Sie auch mal im Sacré-Cœur waren. Nadja Uhl spielt die Isa Vermehren, und ich weiß ja, Sie spielen eigentlich nur Hauptrollen  …« »Da wissen Sie mehr als ich«, hab ich geantwortet. »Wenn mich Rollen interessieren, interessiert mich nicht, wie groß sie sind. Schicken Sie mir das Drehbuch gerne zu.«
    Hatten Sie jemals daran gedacht, selbst in einen Orden einzutreten?
    In den Jahren im Internat habe ich schon darüber nachgedacht. Ich empfand diese Lebensform damals als eine besondere, schöne und klare Form von Liebe. Ich war da vielleicht zehn oder elf Jahre, und es hat mir gefallen, dass Nonnen einen Ehering tragen, weil sie mit Gott verheiratet sind. Als junges Mädchen hast du ja noch die Vorstellung von der einen großen Liebe, die es sein wird. Es war diese Vorstellung: Du liebst dein ganzes Leben lang nur diesen einen Mann. Ich habe mich in dieses Bild verliebt, wie ich ohnehin manchmal glaube, dass ich mich in Bilder verliebe, die ich mir mache – und nicht in die Wirklichkeit.
    Wann haben sich Ihre Eltern eigentlich getrennt?
    Meine Mutter hat sich von meinem leiblichen Vater getrennt, da war ich drei oder vier. Die Beziehung zum
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