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Mary Poppins

Mary Poppins

Titel: Mary Poppins
Autoren: Pamela L. Travers
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1. Kapitel
    Ostwind
    Wenn du den Kirschbaumweg suchst, so brauchst du nur den Schutzmann an der Straßenkreuzung zu fragen. Er wird seinen Helm ein bißchen beiseite rücken, sich nachdenklich am Kopf kratzen, dann seinen dicken, weißbehandschuhten Finger ausstrecken und sagen:
    »Erst rechts, dann zweite Querstraße links, dann wieder scharf rechts und du bist da. Guten Morgen.«
    Und richtig, wenn du genau seiner Beschreibung folgst, dann bist du da. Ein Schritt noch – und du stehst mitten auf dem Kirschbaumweg.
    Auf der einen Seite ziehen sich die Häuser entlang, auf der anderen der Park, und dazwischen, in der Mitte, tanzen die Kirschbäume auf dich zu.
    Wenn du Nummer 17 suchst – und höchstwahrscheinlich tust du das gerade, denn unsere ganze Geschichte spielt sich dort ab – , so ist das Haus leicht zu finden.
    Zunächst einmal ist es das kleinste Haus in der ganzen Straße. Außerdem ist es das einzige, das etwas verwittert aussieht und neu gestrichen werden müßte. Aber Mister Banks, dem es gehört, erklärte einmal Mistreß Banks, entweder könne sie ein hübsches, sauberes, behagliches Haus haben oder vier Kinder. Aber auf keinen Fall beides zugleich, das könne er sich wirklich nicht leisten.
    Und Mistreß Banks überlegte sich die Sache ein Weilchen, mit dem Ergebnis, daß sie doch lieber Jane haben wollte, ihre Älteste, und Michael, ihren zweiten, und John und Barbara, die Zwillinge, die zuletzt ankamen. Damit war der Fall erledigt, und Familie Banks lebte also in Nummer 17, betreut von Mistreß Brill, die für sie kochte, von Ellen, die den Tisch deckte, und Robertson Ay, der den Rasen schnitt, Messer und Schuhe putzte und »seine Zeit und mein Geld« vergeudete, wie Mister Banks immer sagte.
    Natürlich war auch Katie Nanna da, das Kindermädchen, die es allerdings nicht verdient, in unserem Buch erwähnt zu werden, denn zu der Zeit, von der hier die Rede ist, hatte sie Nummer siebzehn schon verlassen.
    »Ohne Kündigung von deiner oder ihrer Seite«, sagte Mistreß Banks. »Und was mache ich jetzt?«
    »Eine Anzeige aufgeben, meine Liebe«, sagte Mister Banks, während er sich die Schuhe anzog. »Ich wünschte nur, Robertson Ay liefe auch ohne Kündigung davon! Er hat wieder nur einen Schuh geputzt und den anderen vergessen. Ich komme mir geradezu windschief vor.«
    »Das ist doch ganz egal«, erwiderte Mistreß Banks. »Sag mir lieber, was ich Katies wegen tun soll.«
    »Ich weiß nicht, was sich jetzt noch tun ließe, nachdem sie einmal fort ist«, entgegnete Mister Banks. »Aber ich an deiner Stelle – ich, hm, ich – nun, ich würde eine Anzeige in die >Morgenpost< setzen, aus der hervorgeht, daß Jane und Michael und John und Barbara Banks (ganz zu schweigen von ihrer Mutter) zu einem möglichst niedrigen Lohn die allerbeste Kinderfrau suchen, und zwar sofort. Dann würde ich abwarten und zusehen, wie die Kindermädchen vor der Gartentür Schlange stehen, und mich darüber aufregen, weil sie den Verkehr behindern und ich dem Schutzmann zur Beruhigung einen Shilling geben muß. Aber jetzt muß ich weg. Hu! Es ist ja so kalt hier wie am Nordpol! Aus welcher Richtung weht denn der Wind?«
    Mit diesen Worten steckte Mister Banks den Kopf zum Fenster hinaus und blickte die Straße hinunter nach dem Haus von Admiral Boom an der Ecke. Es war das eindrucksvollste Haus in der Straße, und die Straße war mächtig stolz darauf, denn es war genau gebaut wie ein Schiff. Im Garten stand ein Flaggenmast und auf dem Dach war eine vergoldete Wetterfahne in Gestalt eines Fernrohrs.
    »Ha!« sagte Mister Banks und zog überraschend schnell den Kopf ein. »Das Admiralsfernrohr verkündet Ostwind. Dachte ich mir’s doch. Mir sitzt die Kälte jetzt schon in allen Gliedern. Ich werde heute zwei Mäntel anziehen.« Zerstreut küßte er seine Frau links auf die Nase, winkte noch den Kindern zu und fuhr in die Stadt.
    Nun, in die Stadt fuhr Mister Banks jeden Tag – außer natürlich am Sonntag und an den Bankfeiertagen – , und dort saß er dann in einem großen Stuhl vor einem großen Schreibtisch. Den ganzen Tag arbeitete er und verdiente Pennies und Shillings, halbe Kronen und Drei-Penny-Stücke. Abends brachte er sie dann in seiner kleinen, schwarzen Mappe nach Haus. Manchmal schenkte er Jane und Michael etwas für ihre Sparbüchsen, und wenn er einmal nichts übrig hatte, sagte er: »Die Bank ist pleite!« Dann wußten sie, daß er an diesem Tag nicht viel Geld verdient hatte.
    Mister Banks ging also
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