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Ein Hund mit Charakter

Ein Hund mit Charakter

Titel: Ein Hund mit Charakter
Autoren: Sándor Márai
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»Mysterium des Sommers«, dessen eigenwilliger Duft voll gedämpfter Erotik während der Saison in den Wandelgängen der exklusiven Badeorte Europas hing. Das berühmte Skizzenalbum von George Grosz, das vorige Weihnachten mit dem Makel der Gotteslästerung vor den Berliner Staatsanwalt gezerrt wurde; nach dem Freispruch kam es als eine Art Ramschartikel auch hierher, wo es die hiesige Staatsgewalt noch nicht aufgespürt hat. Reizende Dinge für die Dame, verführerische Schönheitsmittelchen: alles »höchst modern« oder, wie man in dieser Gegend zu sagen pflegt: »up to date«, denn der Kundschaft, die hier kauft, ist es ein Herzensanliegen, im Gleichschritt mit den Neuigkeiten des Westens zu gehen; bei jedem feilgebotenen Artikel ahnt man allenfalls die Distanz einer Stunde, die möglicherweise nichts anderes ist als die Differenz zwischen mitteleuropäischer und westeuropäischer Zeit.
    Diese verschneite und vornehme Straße ist absolut noch Europa, nur führt man hier im Rahmen der europäischen Modenschau die Versatzstücke und Einfälle der westlichen Welt als letzte vor, kurz bevor sie in der Abstellkammer und auf dem Balkan landen. Vor einer Buchhandlung hält der Herr inne, unterzieht die europäische Literatur einer Inspektion. Auf den ersten Blick und nach dem Reichtum der Auslage zu urteilen, scheint alles in Ordnung zu sein, die europäische Literatur erfreut sich offenbar üppigster Blüte. Auf den Schutzumschlägen der stattlichen Prachtbände liest er zahlreiche vertraute, bekannte Namen, nimmt nicht ohne Skepsis die verdächtige Gelegenheits- und Festtagsproduktivität mancher Kollegen von europäischem Rang in Augenschein, besieht sich voller Sehnsucht eine tadellose Ausgabe der Encyclopaedia Britannica und wagt nicht einmal zu denken, daß er den Fuß auf die Schwelle des Ladens setzen könnte: würde doch die Dame jedwedes Buchgeschenk des Herrn mit größtem Argwohn betrachten, sogar die Encyclopaedia Britannica , und nicht ganz grundlos davon ausgehen, daß er damit vor allem sich selbst eine Freude bereiten wollte. Aber davon kann keine Rede sein. Er muß etwas ausgesprochen Damenhaftes finden, denkt sich der Herr, und die Encyclopaedia Britannica ist doch nur mit ganz viel gutem Willen als ein weibliches Geschenk anzusehen. Und sie wird es ohnedies umtauschen oder zum Färben bringen …
    Es soll etwas sein, das zugleich ein wenig praktisch und ein klein bißchen überflüssig, eine Spur luxuriös, aber doch strapazierfähig ist, nach Möglichkeit warm, vielleicht aus Leder oder schön bunt, es muß jedenfalls etwas hermachen, dazu aber auch schlicht und geschmackvoll sein, alles in allem: ein Firlefänzchen. Etwas, worüber sie sich freut. Natürlich, das ist das Wichtigste. Etwas, womit sie spielen oder sich schön machen kann. Das Gescheiteste wäre vielleicht ein größeres Spielzeug, eine Puppe mit echtem Haar, die ihre Augen auf- und zumachen und »Mama« sagen kann – oder eine Eisenbahn mit Schienen und Semaphor … Ach nein, auf keinen Fall, die wünsche ich mir ja seit langem selbst, gesteht er sich beschämt ein. Aber was dann? Irgend etwas, das nicht gleich wieder in der Rumpelkammer des Lebens landet, das den Moment des Schenkens überlebt, wenn auch nur für einen Augenblick, etwas, von dem sie glauben kann, man hätte es im Atelier der Welt eigens für sie gefertigt … Viel hat sie sowieso nie geschenkt bekommen, überlegt er, und das verdirbt ihm die Laune.
    Mitten auf der Straße hält er inne, ringsum Lederartikel, modische Hüte, unbezahlbare Juwelen und zum Tragen untaugliche Schmuckimitationen, und er blickt mit dem schlechten Gewissen eines Habenichts um sich. Alles, was er hier kaufen könnte, verrät und unterstreicht nur seine Mittellosigkeit: im Endergebnis also ein Scheitern, das Eingeständnis, in geschäftlichen Transaktionen des Lebens nicht geschickt und flink, nicht vif und begabt genug gewesen zu sein. Irgendeinen Schmarren, ein Firlefänzchen, sagt er zu sich und winkt eine Taxe herbei.
    »Zum Zoo«, ruft er mit Nachdruck und setzt sich in den Fond. Der Fahrer mustert ihn voll Verwunderung.
    Der Wagen schlittert auf der glatten Schneefahrbahn, das Stadtwäldchen zerfließt im Nebel, eine einsame Dame an der Zookasse, die in einem Roman liest, empfängt ihn mit ungläubigem Staunen, auch der Wärter sieht ihm argwöhnisch nach. Schwer zu begreifen, daß sich am Nachmittag vor dem Heiligen Abend jemand für die Nilpferde interessiert. Allein der Auerochs
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