Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Hund mit Charakter

Ein Hund mit Charakter

Titel: Ein Hund mit Charakter
Autoren: Sándor Márai
Vom Netzwerk:
ist, auch seine Zigarette fast zu Ende geraucht hat und der Hund irgendwo in der Ferne gerade noch als physische Vorstellung vorhanden ist, sozusagen als Verkörperung der Bewegung an sich, wird er auf einmal unruhig. Man schreibt nicht ohne Grund und nicht eines billigen Vorwands wegen einen Hunderoman – denkt er trotzig. In der Welt gehen düster dreinblickende Propheten um, die den Schriftsteller heutzutage zu anderen Pflichten als zum Schreiben von Hunderomanen nötigen. Daran muß er denken. Aber im selben Augenblick geniert er sich bereits, denn dem Wort der Propheten fühlt er sich ja auch sonst nicht verpflichtet; und mit einemmal verspürt er wider alle Propheten jene Solidarität mit dem Hund, die er ihm vorhin aus politischer Feigheit schon so gut wie verweigert hatte. Er fühlt solidarisch mit dem Hund … Und weil es ihm gelungen ist, sich das so schön zurechtzulegen, bläst er erleichtert, wenn auch nicht ohne eine gewisse Erregung, einen Seufzer in den diesigen Äther, holt tief Luft und macht sich auf, hin zu seinem Hund. Er empfindet diese eigenartige Erregung wie vor einem Examen, eine Mischung aus Bauchgrimmen und innerer Unruhe, wie sie jeder Autor verspürt, wenn er sich entschlossen hat, das Leben anzugehen, und nicht nur den Willen, sondern auch den Mut hat, von ihm – unmittelbar und frei von Politik – etwas zu erfahren, und sei es durch einen Hund … Diese Mischung aus Bauchschmerz und Aufgeregtheit, die der Schriftsteller vor der Arbeit spürt, das ist die Inspiration. Aber vielleicht schickt es sich gar nicht, darüber zu reden.
    Jetzt ist ihm schon klar, daß irgendwo hinter dem Entschluß auch etwas Beschämendes mit im Spiel ist, und er weiß, dem kann er nicht ausweichen; er spürt, es ist nicht allein der Einfall, der ihn mitreißt, denn seine Absicht ist auch von Neugier und innerer Erregung beflügelt – der Neugier nämlich, die sich einzustellen pflegt, wenn er eine Möglichkeit sieht, jenseits des Alltags einen Blick in einen anderen Bereich des Lebens zu werfen, in das undurchdringliche Gewirr der dämmrigen Nacht. Nein, nur über die Idylle von Hund und Mensch zu referieren, das ist in der Tat eine wenig aufregende Angelegenheit … Aber wenn er sein Augenmerk ganz besonders auf den Hund richtet, erfährt er vielleicht auch etwas über den Menschen. Und die Propheten werden dann schon erklären, was das Kleinbürgerliche daran ist, daß in einem historischen Augenblick, in dem der Mensch ein Hundeschicksal hat, jemand hoffen kann, über den Hund etwas von der augenblicklichen Lage der Menschen in der Welt zu erfahren.
    Er hebt den Arm und winkt dem Hund, und zwar mit entschlossener Gebärde, wie einer, der sich entschieden hat. Dieser eigenartige Zwang und die Kraft, die den Vierbeiner in den kurzen Minuten der Freiheit gleichsam zu einer physikalischen Masse mit zunehmender Beschleunigung machte, beginnen sich unter der Wirkung seiner Handbewegung abzubauen, das Tempo der Bewegungen dieser kreisenden Materie nimmt ab, und der zwingenden Anziehung nachgebend unterwirft sie sich – zwar schwer und widerwillig, aber schließlich doch – diesem geheimnisvollen, magnetisch wirkenden Befehl. Naß und verdreckt, und ganz so, als wären bei jedem Schritt schmerzhafte Widerstände zu überwinden, nähert sich der Hund und bleibt hechelnd, aufgewühlt zwei Schritte vom Schriftsteller entfernt stehen. Kommt dann, trunken vom Herumjagen, unsicheren Schrittes zu ihm. Der Schriftsteller legt ihm die Leine an, zuckt die Achseln. Ja, daraus wird ein Hunderoman.
    Sie beobachten sich noch einige Tage gegenseitig. Ihre Beziehung ist nicht mehr ganz redlich, der Schriftsteller bemüht sich, alles Persönliche im Verhältnis zu seinem Modell zu unterdrücken; der Hund ist lustlos und voller Argwohn. Ich muß ihn so beschreiben, denkt der Schriftsteller ohne Mitleid und Leidenschaft, wie alles andere, was ich in der Welt beobachtet habe, wie einen Richter, eine Frau, einen Pfarrer oder einen Soldaten. Indessen stellt er überrascht fest, daß er im Lauf der Jahre schon eine ganze Menge klinisches Beobachtungsmaterial über Hunde gesammelt hat. Nichts spricht dagegen, eines Tages den Telephonhörer abzunehmen und dem Verleger einen Hunderoman anzutragen, worauf dieser höflich in die Leitung nickt. Die Propheten werden ihren Spaß haben, denkt der Schriftsteller, als er den Hörer einhängt, legt sich Papier und Stifte zurecht und schreibt, während der Hund es sich zu seinen Füßen bequem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher