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Ein Hund mit Charakter

Ein Hund mit Charakter

Titel: Ein Hund mit Charakter
Autoren: Sándor Márai
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Dienstmädchen. Aber Theres bekommt Geld, sie schätzt eher das Materielle.
    »Also diesmal gar nichts für niemand«, sagt die Dame und steckt sich die einzige Zigarette an, die sie tagsüber zu rauchen pflegt. »Ehrenwort. Nicht daß ich dann am Abend mit nichts dastehe und mich schämen muß.«
    Der Herr gibt ihr die Hand darauf. »Und jetzt sag einen Wunsch«, fährt die Dame ohne Übergang fort. So geht es jedes Mal. Der Herr denkt nach und stellt verblüfft fest, daß er gänzlich wunschlos ist. Weder an einem silbernen Feuerzeug noch an einem Seidentuch ist er interessiert, ja nicht einmal an einem neuen Automobil oder einem Urlaub an der Riviera, selbst die sechzehnbändige Kunstgeschichte, die ihn vor einigen Monaten noch so brennend interessiert hat, wünscht er sich gar nicht. Umgehend beendet er auch die Aufzählung von nicht erwünschten Geschenken, es führt doch zu nichts. Tatsache ist, daß er keine Wünsche hat. Und dies gibt er auch zu. Verkündet ohne Genugtuung oder Anmaßung, daß er damit niemanden strafen möchte, aber es ist nun einmal so: Er ist wirklich wunschlos. Das setzt ihn selbst in Erstaunen. Ein schlechtes Zeichen, bemerkt er ohne Nachdruck, aber laut. Denn es ist noch nicht lange her, daß er sich zornig und zähneknirschend nach etwas sehnen konnte, gar nicht so sehr nach etwas Bestimmtem, sondern eher nach der ganzen Welt. Das einzige Verlangen, welches er im Augenblick bei sich zu registrieren vermag, ist, daß er auch dieses Weihnachtsfest schon gern hinter sich hätte wie die gehabten, wenn möglich ohne größeres Mißgeschick – das ist jetzt sein einziger Wunsch, aber der ist heiß und mächtig.
    Jetzt klingelt es: Alarmzeichen für neues Ungemach, denn ein aufmerksamer Herr hat der Dame Blumen geschickt, was man gezwungenermaßen augenblicklich mit einer Aufmerksamkeit erwidern muß, und zwar innerhalb von Minuten, damit es nicht nach Revanche aussieht und der Schein der gegenseitigen Aufmerksamkeit gewahrt bleibt.
    Aus diesem Grund und auch, weil es bereits langsam zu dämmern beginnt und in ein, zwei Stunden die Geschäfte schließen, drückt der Herr eilends seine Zigarette aus und begibt sich auf den schweren Weg. In der Tür wendet er sich noch einmal um: »Sag einen Wunsch.«
    »Oh«, sagt die Dame mit einer Handbewegung, die bedeuten soll, daß auch sie wunschlos ist; verteilt mit der Handfläche den Rauch in der Luft und bemerkt mit dieser typischen sanften Geringschätzung in der Stimme, wie sie eben doch nur eine Frau den Dingen der Welt gegenüber empfinden kann: »Also, wenn es unbedingt sein muß … Irgendein Firlefänzchen.«
    Der dafür verwendete ungarische Ausdruck »Schnorka« existiert nur im privaten Slang der Familie, ist wohl von »schnorren« abgeleitet und bezeichnet ein so belangloses Geschenk, daß sich der Schenkende fast schämen muß und der Beschenkte beleidigt sein könnte. Das also wünscht sich, zehn Jahre nach dem großen Krieg, die Dame vom Herrn als Weihnachtsgeschenk. Aber eben durch die Erfahrung der zehn Jahre klug geworden, blickt der Herr etwas ratlos vor sich hin, er kennt sich nämlich in den symbolischen Untiefen des Wortschatzes der Dame einigermaßen aus, und nur ein Tiefenpsychologe vermöchte auf die Schnelle herauszufinden, ob das »Firlefänzchen« für eine Villa mit Dachgarten, für ein Sümmchen Bares in fremder Valuta, ein Collier, ein Pariser Modellkleid oder für ein modernes Sportcoupé steht. Der Herr weiß, daß es ganz zwecklos wäre, an dieser Stelle nachzubohren, und macht sich stillschweigend auf den Weg. Im Weggehen hört er gerade noch, wie die Dame, die ans Fenster getreten ist und die dichter fallenden Schneeflocken betrachtet, mit feierlicher Rührung in der Stimme sagt: »Es schneit. Wie schön für die armen Leute.«

Firlefänzchen

    Wie schön für die armen Leute, klingt es dem Herrn noch in den Ohren, während er durch den Schnee langsam in die Stadt hinunterstapft. Sie dürfen jetzt am Weihnachtsabend schaufeln und fegen, und das ist schön und gut für sie. Er geht zu Fuß über die Donaubrücke. Die Stadt gibt sich in dieser Stunde gehoben feierlich. Er schreitet an den erleuchteten Schaufenstern vorüber und fühlt diese Angst und Betroffenheit, die ihn bei jedem Einkauf und Geschäftsabschluß überfällt. Kaufen ist für ihn gleichbedeutend mit Akzeptieren, Einwilligen: Man muß dieses ganze System akzeptieren, den Einzelhandel vor allem, diesen peinlichen Nahkampf, zu dem es unweigerlich
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