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Ein Hund mit Charakter

Ein Hund mit Charakter

Titel: Ein Hund mit Charakter
Autoren: Sándor Márai
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als gäbe jemand in besserer Gesellschaft peinlich sentimentale Gemeinplätze von sich. Aber reden darf man darüber natürlich nicht. Seit Tagen ist die ganze Wohnung von Geheimnissen erfüllt, die Schubladen des Sekretärs sind verschlossen; am Tag zuvor kam um die Mittagszeit ein näselnder Mensch mit einem großen Paket und stiftete diskrete Verwirrung im Haus, indem er trotz energischer Beschwichtigungen des Mädchens in der Diele mit unangenehmer Stimme mehrmals wiederholte, daß er nur gegen sofortige Begleichung der Rechnung … Die Dame, die die Wohnung schon in den frühen Morgenstunden verlassen hatte, seither in der Stadt herumrannte und erst zum Mittagessen müde und nervös heimkam, will die historische These nicht akzeptieren: daß sich nämlich, sobald eine überholte Gesellschaftsordnung von einer anderen, neuen abgelöst wird, bei jenen, die von diesem historischen Prozeß betroffen sind, die passende Gemütsverfassung für dieses gnadenreiche Fest einfach nicht einstellen will. Dem Herrn will scheinen, er verfüge über nichts, das für ein Fest geeignet sein könnte, und er denkt dabei nicht nur an seine Taschen, die leer sind. Überhaupt ist alles leer. Doch wo findet sich ein Scharfrichter, der es wagen würde, der Dame das zu sagen? Sie besteht auf einem Fest – einem Fest mit Baum und Engelhaar, mit dem Duft brennender Wachskerzen und frischer Tannenzweige, einem mit kleinen Opfern und allerlei Geheimnissen behangenen Christbaum, einem richtigen, runden Fest. Wer wagt es, ihr zu sagen, daß das Fest keinerlei Geheimnis birgt, wenn nicht einmal er sich dies einzugestehen traut? Dem Herrn fehlt die Kraft dazu.
    »Es schneit«, sagt er lieber. Und fügt stereotyp hinzu, was er schon tausendmal gehört hat. »Wir werden weiße Weihnachten haben.«
    Sie trinken den Mokka und versichern sich gegenseitig noch einmal, sicher das zehnte Mal, mit Ehrenwort, daß es in diesem Jahr keine Geschenke gibt. Letztes Jahr haben sie es sich ebenso versichert, auch im vorletzten, vor acht und neun Jahren, es gibt keinen Grund, es in diesem Jahr nicht genauso zu halten. Dieses Ehrenwort, das nicht zu brechen eine Schmach wäre, geben sie sich also. Der Herr weiß, daß die Dame, die sich in den letzten Wochen, übrigens nach neun Jahren zum ersten Mal, mit ungewöhnlicher Neugier nach seiner neuen Kragenweite erkundigt hat, ihre Vormittage in der Innenstadt verbringt, gelegentlich auch nachmittags mit gedämpfter Stimme telephoniert und sich nach dem Schnittmuster der für eine wildfremde Person in Auftrag gegebenen Hemden erkundigt. Die Dame weiß, daß der Herr kein Geld hat, er also Schulden machen wird, denn ohne Grund kann er nicht gefragt haben, übrigens seit neun Jahren zum ersten Mal, welches Parfum die Dame in letzter Zeit verwendet. Wie jedes Jahr versichern sie sich auch jetzt wieder, »es wäre doch lächerlich, wenn man sich in völlig überflüssige Unkosten stürzen würde«. Der Herr, der noch vor kurzem, und zwar in einfacheren und weniger verantwortungsvollen Zeiten, gern betont hat, es lohne nicht, sich in überflüssige Kosten zu stürzen, neigt in den letzten Monaten viel seltener zu aphoristischen Äußerungen und zieht zustimmendes Schweigen vor. Das Gelübde des »diesmal gar nichts, für niemand«, das jetzt wirklich nicht schwer mit triftigen Gründen zu untermauern wäre, haben sie ohnehin schon gebrochen, weil es im letzten Augenblick ja doch ganz unmöglich schien, daß der brave und bescheidene Josef, der den Prozeß gegen das verantwortungslose Wochenblatt so uneigennützig und erfolgreich geführt hat, das lederne Zigarrenetui mit Silbermonogramm nicht bekommt – soll es doch eher als bescheidener Ehrenlohn denn als bloße Aufmerksamkeit dienen. Und ein feiner Herr, ein Leser aus der Provinz, dieser echte literary gentleman und Vertreter einer im Aussterben begriffenen Rasse, hat am Vormittag per Postpaket sechs Flaschen alten Tokajer geschickt: Zum Glück trinkt der Hausarzt, dieser Intimfreund, der die seelischen Unpäßlichkeiten der Familie mit größerer Hingabe und Neugier als die körperlichen Wehwehchen aufspürt und kuriert, nur Süßwein; so kann die Sendung, mit einigen Tannenzweiglein aufgewertet, gleich an ihn weitergereicht werden. Bleiben noch ein paar Cousinen, die von einem kleinen Flakon französischen Parfums vermutlich auch angenehm berührt sein werden, dank der weisen Voraussicht der Dame sind von der letzten Parisreise noch einige vorrätig, und Theres, das
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