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Ein Hund mit Charakter

Ein Hund mit Charakter

Titel: Ein Hund mit Charakter
Autoren: Sándor Márai
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harrt im Freien aus, schneebedeckt; ein paar Kleintiere und ein Trupp Ziegen stehen zitternd unter der Felswand. Der Herr hätte nicht übel Lust, zu einem kurzen Höflichkeitsbesuch im Elefantenpavillon einzukehren; doch Eile ist geboten, schließlich dämmert es bereits. Weder Mensch noch Tier zeigt sich auf den verschneiten Wegen. Hinter den dicken Mauern der Winterquartiere hört man die großen Tiere brüllen. Irgendwo in der Dunkelheit leiert aus einem sinnlosen und unsichtbaren Lautsprecher Radiomusik. Mit aller Entschlossenheit umrundet der Herr den aus Versatzstücken errichteten künstlichen Berg, er beschleunigt seine Schritte auf eine Weise, als fürchte er, unterwegs mutlos und anderen Sinnes zu werden. Der Braunbär bettelt im Freien, vis-à-vis vom Hundezwinger, auch hier nicht die Spur eines Besuchers, als ob die Tiere heute abend sich selbst überlassen ihr rätselhaftes Gefangenendasein lebten. Nur beim Zwinger der Hunde empfängt ihn wildes Gekläff.
    Zwei zottelige Hirtenhunde, riesige Komondors, schlagen an, ein paar Kuvasz werfen sich schäumend vor Wut gegen das Käfiggitter. Der Herr bleibt stehen und redet beruhigend auf sie ein. Mißtrauische Stille begegnet ihm. Sie trotten zu ihren Hütten zurück. Doch dahinter treten jetzt die Ungarischen Vizsla in Aktion, gefolgt vom schrillen Gebell der Pumis. Der Herr läßt einen durchdringenden Pfiff ertönen. Er war schon früher einmal hier und kennt das verzweifelte Konzert, das die Tiere auf dieses Signal hin anstimmen. Die Pumis übernehmen die tragende Stimme und jaulen im Sopran. Die Kuvasz mit ihrem Tenor können das Geheul kaum übertönen, aber der dunkle Baß des Komondors untermalt diesen zweistimmigen Gesang auf eindringliche Weise. Es dauert nur ein paar Minuten, bis diese höllische Kakophonie einen Menschen auf die Bildfläche lockt. Hinter dem Vorhang aus rieselnden Schneeflocken, von wo der Hundechor herübertönt und wo auch die Hütte steht, durch deren Fenster ein Lichtschein dringt, tritt gemächlich ein Wärter heraus. Er brüllt Kommandos und flucht, trägt einen Schafspelz und die Dienstmütze. Mit tief in die Taschen versenkten Händen steht er da inmitten des wütenden Gekläffs, und seine Stimme übertönt den Lärm: »Ein Hund gefällig?« fragt er mit erstaunlichem Scharfsinn.
    »Ungarischer Puli«, schreit der Herr zurück.
    »Da wäre einer«, brüllt der Wärter zurück, die Hände wie ein Sprachrohr an den Mund gelegt. »Ein braver, kleiner Puli.«

Der Held tritt auf

    Ein paar Augenblicke noch, und der einzige Held dieser Geschichte hat seinen ersten Auftritt. Holen wir tief Luft, und atmen wir durch! Der Herr ist aufgeregt und tut es auch. Durch das Gedränge der nun fast beruhigten Meute folgt er dem Wärter, beide betreten sie seine Bude, in der ein Petroleumofen wohlige Wärme ausstrahlt und den Besucher eine scharfe, aggressive Duftwolke empfängt: Gestank nach Petroleum, Hunden und dazu ein muffiger Menschengeruch. Der Wärter hat hier auf einem Diwan geschlafen, auf dem ungehobelten Tisch gammeln in einer Schüssel Essensreste, daneben eine halbe Flasche Wein; und in diesem Geruchs- und Dunstgemisch breitet sich die Atmosphäre menschlichen Lebens aus – auch so kann man leben, überlegt sich der Herr, inmitten von Hunden, dem Bärengehege gegenüber, in einen Schafspelz gehüllt, Jahr für Jahr, allein und mit Pensionsberechtigung. So etwas setzt ihn immer wieder in Erstaunen. Zu seinen fixen Ideen gehört es, in allem ein Geheimnis zu wittern. Der Wärter, seinerseits ein Mann mittleren Alters, wittert dagegen ein Geschäft.
    »Heute waren schon mehrere Leute aus der Stadt hier«, berichtet er umständlich, bedankt sich salutierend für die Zigarette, die ihm der Herr angetragen hat, und steckt sie sich hinters Ohr. »Sie haben einen Pumi und einen Komondorwelpen mitgenommen, letzteren ein Herr vom Ministerium.« Dies soll beweisen, welch ausgezeichnetes Renommee die Züchtungen des Zoozwingers haben; doch der Herr stellt mit Unbehagen fest, daß ihn diese Mitteilung gar nicht angenehm berührt … Während der Wärter weiter seine seltsame Ware anpreist, versucht der Herr auf der Stelle und mit aller Disziplin zu ergründen, warum ihm plötzlich die Lust an dem Vorhaben abhanden gekommen ist, schließlich hat er Übung in der Selbstanalyse: Also auch andere hatten schon diesen Einfall, auch andere haben kein Geld, auch anderen ist es nicht wohl dabei, ein Firlefänzchen zu kaufen, und auch sie sind der
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