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Ein Hund mit Charakter

Ein Hund mit Charakter

Titel: Ein Hund mit Charakter
Autoren: Sándor Márai
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zerbeißt auch nicht um seiner selbst willen, sondern dient dem Autor als willkommener Vorwand, ebenfalls in die Handlung einzutreten, damit sie beide gemeinsam das Revier durchmessen können, das für den »Herrn« nur seine enge, gewohnte Umgebung, für Tschutora aber die große Welt bedeutet. Allzuviel Handlung ist nicht erforderlich, um dem Leser Atmosphäre, Stimmung und viele Reflexionen des Autors zu vermitteln, ihm den Grundgedanken dieses Buches nahezubringen, daß Ordnung und Disziplin die Freiheit beschneiden oder ausschließen, Harmonie zerstören können.
    Es fällt nicht schwer, hinter Tschutora, der mit Zähnen und Klauen seine Freiheit verteidigt, gelegentlich Allüren hat und allmählich sogar ein Standesbewußtsein entwickelt, den Autor selbst zu vermuten. Doch hieße es, Márai gründlich mißzuverstehen, wenn wir in Tschutora eine Art Alibiwesen sehen würden, das der Autor an seiner Statt unter dem Deckmantel des Vierbeiners auf die Welt reagieren läßt. Nein, sie sinnen und grübeln gemeinsam über die Menschen, über Gott und die Welt – der »Herr«, indem er sich gewissermaßen hinunterneigt zum instinktiveren Wesen des Hundes, und Tschutora, der sich auf die Hinterbeine stellt und bestrebt ist, dem intellektuellen Niveau des »Herrn« nahezukommen. Diese gemeinsame dritte Betrachtungsebene macht den Reiz, den Charme des Romans aus.
    Hund und Herr entwickeln ein beinahe menschliches Verhältnis zueinander; und der Leser erfährt dabei nicht nur mancherlei über die eigentlich für die Freiheit geschaffene »Seele« des Hundes, sondern mehr noch über den »Herrn« und seine Zeit.
    Ein Hund mit Charakter ist also auch ein selbstkritisches Buch – durch die Sinne des Hundes lernen wir auf ironische, amüsante, oft auch ehrlich ernsthafte Weise verborgene Charakterseiten des »Herrn« kennen: zotteln hinter Tschutora her durch Küche, Wohn- und Schlafräume bis ins Bad, dürfen ihm sogar ins Allerheiligste, die Werkstatt des Schriftstellers, folgen, lernen Arbeitstag und Arbeitsweise des »Herrn« ebenso kennen wie die Leidenschaften und Lebensgewohnheiten der Herrschaft, das subtile Verhältnis der Dame zum Herrn, den sozialen Stand der Dienstmagd, die übrigen Bewohner des Hauses, die Gassen ringsum, also eine Welt, die nicht nur für Tschutora voller Wunder und Rätsel steckt.
    Was das Erlebte und Selbsterfahrene angeht, den authentischen Ort der Handlung, so hat sich Márai in seinem Erinnerungsbuch Land, Land über die in Trümmern liegende Mikostraße und ihre Bewohner später noch einmal aufschlußreich geäußert:
    »Das Souterrain unseres Hauses ist stehengeblieben, und die Kellerwerkstatt von Herrn Kovács, dem bibelfesten Tischler, zur Mikostraße hin blieb unversehrt. Er und die Seinen waren im Chaos der Belagerung verschollen und kamen nie mehr zum Vorschein. Vielleicht leben sie nur noch in dem amüsanten Büchlein, das ich in meinen leichtsinnigen jungen Jahren über die Mikostraße und die Christinenstadt, über meinen bissigen Puli Tschutora sowie die Sonderlinge und Verrückten verfaßte, die in diesen zerbombten Häusern – in dem Familienmythos, der jetzt in Trümmern lag – hier unten existierten. Es war meine Welt, und es war mein Mythos, also habe ich darüber geschrieben. Proust schrieb über den französischen Hochadel und die großbürgerlichen Snobs. Ich über Herrn Kovács …« – Nicht nur über Kovács alias Telkes, sondern mit gehöriger Ironie, aber nicht ohne Respekt auch über andere Mitbewohner. Manche aber hat er vergessen, aus Rücksicht oder Feigheit ausgelassen, was offensichtlich ratsam war; denn an anderer Stelle seiner Erinnerungen berichtet Márai, daß ihn sein berühmter Nachbar, der Schriftsteller Dezső Kosztolányi, nach der Lektüre des soeben erschienenen Romans geraten habe, für eine Weile in die Provinz zu verschwinden, denn im Christinenviertel werde über das Buch geredet, und man wisse natürlich, wer all die vier- und zweibeinigen »Figuren« seien. So sei es keinesfalls auszuschließen, daß ihm »einer der Romanhelden eines Tages aus dem Hinterhalt eine spitze Feile in den Rücken rammt«.
    Ein anderes Aperçu:
    Im Tagebuch des Jahres 1943 notiert Márai voll Entrüstung, daß man ihm ein Exemplar der tschechischen Ausgabe von Csutora zugeschickt habe. Lesen und überprüfen könne er die Übersetzung nicht, doch vom Schutzumschlag schaue ihm ein Monster entgegen, das seinen Tschutora zeigen solle, und zwar so, wie er in der vom
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