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Ein Hund mit Charakter

Ein Hund mit Charakter

Titel: Ein Hund mit Charakter
Autoren: Sándor Márai
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Kopfschüttelnd muß er die Frage bejahen, und er beschließt, sich in Zukunft mit dieser Art von Vierbeinern nicht mehr abzugeben.
    Doch bevor Tschutora das Haus verläßt, wo er sich der Nachsicht und des Mitgefühls der Gesellschaft unwürdig erwiesen hat, beißt er zum Abschied noch der Reihe nach seine Hausgenossen, Theres, dann die Dame und zum Schluß auch den Herrn. Ehe er ins Nichts verschwindet, das sein Hundeschicksal ist, verabschiedet er sich auf diese Weise, denn so ist er, das ist seine Art. Darüber soll in gebotener Eile noch berichtet werden, denn die Erinnerung daran ist peinlich und erniedrigend, und wir wenden uns dann am besten schnell und degoutiert wieder von ihm ab. Schließlich geht diese simple und langweilige Idylle als ein richtiges kleines Drama zu Ende – jede Idylle, die nicht eine Künstlerphantasie, sondern die Wirklichkeit schafft, ist platt und langweilig, wie wir sehen werden, ein Drama mit Blut und gebrochenen Gliedern, mit sehr lauten, von Leidenschaft erstickten Worten, mit Nahkampf, Waffen und Duell, also mit all den beschämenden, derben Requisiten des blinden Affekts.
    Es beginnt damit, daß Theres eines Tages mit einem Arm in der Schlinge beim Frühstück erscheint, bleich, verweint und stumm, wie einfache Menschen sind, die nicht über Schmerzen reden. Der Hund hat sie am Morgen gebissen, heimtückisch, als sie ihn bürstete und mit Flohpulver bestäuben wollte; denn, ehrlich gesagt, Tschutora hat Flöhe.
    Seit einem Jahr wurde dem Hund allmorgendlich diese Pflegeprozedur freiwillig durch das Mädchen zuteil; schwer zu sagen, welche verdrängten Liebkosungs- und Verzärtelungstriebe Theres auf diese Weise abreagierte, wenn sie Tschutora in aller Frühe so sorgfältig striegelte – für welche verschämten heimlichen Wünsche sie Erfüllung suchte und bei dieser quirligen Kreatur fand, die es allerdings nur widerwillig duldete, wenn man sich so unmittelbar um sie kümmerte; irgendwie betrachtete Tschutora seinen Körper samt Flöhen und mit all seinen Unzulänglichkeiten als Privatsache. Ein Jahr lang hat er es dennoch geduldet, allerdings unter angedeutetem Murren, daß Theres ihm mit einer schäbigen Kleiderbürste sein strubbeliges Fell in Form brachte, die verfilzten Strähnen löste und dabei endlose leise Ermahnungen, Erziehungs- und Aufklärungsreden an ihn richtete, die letzten Endes alle gutgemeint waren und von Zuneigung und Zärtlichkeit sprachen …
    Eines Morgens duldet er sie dann nicht mehr; und wieder greift er hinterhältig an, stumm, ohne warnenden Kläffer; wie aus heiterem Himmel, Theres hält ihn auf dem Schoß, schnappt er plötzlich nach ihrer Hand, beißt wild in den Ansatz der Finger, so daß diese gefühllos, die ganze Hand und der Unterarm geschwollen sind; der Hund muß einen Knorpel am Gelenk verletzt haben, denn Theres weint laut vor Schmerzen, was sonst gar nicht ihre Art ist … Während der Herr die Bißwunde des Mädchens mit Jod säubert – wobei sie die Tatsache, daß Tschutora sie gebissen hat, mehr als die Wunde schmerzt –, wird nun auch kurz und endgültig über Tschutoras weiteres Schicksal entschieden. Aus welchem Grund ein Hund aggressiv wird und zubeißt, das sollen die Seelenforscher enträtseln – einstweilen genügt es, daß der Hund sich als bissig erwiesen hat und schleunigst aus dem Haus muß, möglichst noch am Abend dieses Tages. So nimmt der Herr den Telephonhörer ab, um bei verschiedenen Bekannten zu eruieren, ob jemand Platz und die Möglichkeit hat, das Tier zu nehmen, am besten auf dem Land, einem Gut, in das Tschutora verbannt und wo er einem gleichgültigen, rauheren Schicksal überlassen werden soll.
    Die Reaktionen sind zögerlich. Jene, die den Hund kennen, wehren ab, die ihn nicht kennen, erkundigen sich nach seiner Rasse; schließlich muß er dann doch den Vorschlag der Dame akzeptieren, die unerschütterlich, auch jetzt noch, für den Hund Partei ergreift, sie erbietet sich, ihn in den nächsten Tagen in ihre frühere Heimat mitzunehmen, die jetzt jenseits der Landesgrenze liegt, wo sich ganz sicher eine barmherzige Seele finden wird, die sich des verstoßenen, heimatlosen Tieres annimmt. »Ins Ausland also?« überlegt der Herr. »Ja, ja, möglichst weit fort!« Er beginnt eifrig und mit angestachelter Hast zu packen, denn er hat jetzt endlich genug von alldem, von bissigen Hunden, von nicht eingehaltenen Abmachungen, von dieser ganzen unseligen Idylle. »Möglichst weit weg, ins Ausland!« wiederholt
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