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Ein Hund mit Charakter

Ein Hund mit Charakter

Titel: Ein Hund mit Charakter
Autoren: Sándor Márai
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auch, denn Tschutora antwortet, auf die Drohung des Herrn bellt er schon minutenlang mit Schaum vor der Schnauze, aus voller Brust und mit blutrünstiger Wut.
    »Was für eine Kraft in dem Tier steckt«, denkt der Herr selbst in diesem kritischen Augenblick voll ehrfürchtigen Staunens, wie wir es auch Naturerscheinungen nur sehr selten zollen. »Welche Schönheit!« sinnt er verwirrt und erregt. In dem Moment beginnt er, die Japaner zu verstehen, die bei Demütigungen und großer Schmach Harakiri begehen – vermutlich eine einfachere und bequemere Form der Rache als der Angriff. Dergleichen Gedanken schwirren ihm durch den Kopf, doch er begeht kein Harakiri, weil er kein Japaner ist, sondern streckt nur seinen Arm nach dem Hund aus und denkt in diesem Augenblick und auch im nächsten an gar nichts mehr. Tschutora schnappt natürlich sofort wieder zu und beißt ihm die Hand durch. Er muß eine Ader erwischt haben, denn das Blut spritzt nur so durch seine Finger, auf den ersten Biß folgt gleich ein zweiter, der dem Handgelenk gilt und einen fast unerträglichen Schmerz auslöst, was in den nächsten, auf jeden Fall für ihn schmachvollen und demütigenden Minuten die Erregung des Herrn fast bis zur Bewußtlosigkeit steigert. Mit blutender Hand greift er nach dem Hund, der noch einige Male zuschnappt, ihm in die Hand und in den Arm beißt, blind und zu allem entschlossen packt er ihn, hebt ihn hoch, wirft den Spazierstock weg und schlägt dem Tier mit aller Kraft die Faust in die Zähne. So, ohne Stock, mit bloßen Händen empfindet er den Kampf als irgendwie ebenbürtiger – denn jetzt wird es Ernst mit der Abrechnung, Aug um Auge, Mann gegen Mann, mit aller Verantwortung, endgültig. In dieser Sekunde hört auch der Hund auf zu bellen; er zappelt in der Luft, beißt um sich, das Blut spritzt in alle Richtungen, auf die buttergelbe Wand, stumm und keuchend kämpfen sie mit äußerster Entschlossenheit, bis zur Erschöpfung. Der Herr hat Tschutora mit seinen Fausthieben schon ein paar Zähne ausgeschlagen, seine Schnauze ist blutüberströmt, blind und völlig außer sich packen sie zu, wo sie sich zu fassen kriegen. Er scheint entschlossen zu sein, das Tier nicht lebend loszulassen. Doch dann kommt er für einen Augenblick zur Besinnung, und es schießt ihm durch den Kopf, so hat der Held Toldi mit bloßen Händen gegen das Wolfsjunge gekämpft, und in dieser Rolle ist ihm nicht wohl. Den halbtoten Hund, dem er mehrere Zähne, vielleicht auch den Kiefer zertrümmert hat, noch fest im Griff, geht er in sein Zimmer hinüber, dreht mit der Linken umständlich den Schlüssel um, er hat keine Lust, jetzt irgendeinem anderen Lebewesen zu begegnen, wie einen Gegenstand läßt er den Hund vor seinen Schreibtisch fallen, setzt sich und legt seinen zerfleischten, fast gelähmten Arm auf die Tischplatte. Die Hand ist ganz ohne Gefühl. Verwirrt denkt er daran, daß es ratsam wäre, die Wunden erst einmal mit Jod zu säubern; aber eine heftige Übelkeit überkommt ihn, er fühlt sich elend und schwach, kann sich kaum rühren, so sitzen sie sich gegenüber, stundenlang, stumm und regungslos. Am verletzten Arm ist der Blutfluß gestoppt, der Wundschmerz geht langsam in ein taubes Lähmungsgefühl über, und auch Tschutora beginnt vorsichtig, seine blutigen Lefzen zu lecken. Sie rühren sich nicht von der Stelle, sitzen sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber, der Herr kämpft immer noch mit seiner Übelkeit.
    Irgendwo in der Wohnung wird eine Tür zugeschlagen. Dann tritt Stille ein. Jemand geht leise an der verschlossenen Tür vorüber, klopft aber nicht an. Wie lange sie so verharren inmitten der halbgepackten Koffer, die in einem bürgerlichen Haushalt stets an Auflösung und Vergänglichkeit erinnern? Hinter dem Fenster dämmert es bereits, als der Herr sich entschließt, etwas zu tun, seine Übelkeit unterdrückt und sich im Halbdunkel zum Hund hinunterbeugt, um ihn sich zum Abschied noch einmal anzusehen. Das Tier liegt noch immer dort, wo er es vor Stunden hingeworfen hat – hier gibt es keinen Sieger und keinen Besiegten, der Hund kauert zusammengerollt, sein geschundener Kopf ruht auf den Vorderpfoten, er blickt mit gespielter Gleichgültigkeit hoch. Aber diese Teilnahmslosigkeit und Erschöpfung sind vorgetäuscht; der Herr betrachtet noch eine Weile die blutige Schnauze des Tieres, dann läßt er sich betroffen in seinen Sessel zurückfallen: In diesem Augenblick des Abschieds sieht er etwas, womit er nicht
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