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Ein Hund mit Charakter

Ein Hund mit Charakter

Titel: Ein Hund mit Charakter
Autoren: Sándor Márai
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er laut, und nachdem er seinen Wünschen auf diese Weise Ausdruck verliehen hat, begibt er sich in sein Zimmer zu den Koffern und Bücherstapeln und schließt sich ein, Tschutora würdigt er nicht einmal mehr tadelnder Worte.
    »Schade«, sinnt er drinnen verstimmt, »irgendwo ist ein Fehler passiert. Aber daran ist jetzt nichts mehr zu ändern. Vielleicht, wenn ich ihn damals an dem Morgen, als er in der Tür stand, angesprochen hätte.« … Schlechtgelaunt verscheucht er die Erinnerung an Tschutora, bemüht sich, andere Gedanken zu fassen. Aber das ist schwer, die Enttäuschung läßt ihn nicht zur Ruhe kommen, man muß sich der Wirklichkeit stellen, und die Wirklichkeit sieht so aus, daß er bei seinem Bemühen, das Vertrauen einer Kreatur zu gewinnen, kläglich gescheitert ist. Mißmutig macht er sich an die Arbeit. Doch diese Erkenntnis läßt ihn nicht los, beunruhigt ihn. »Es geht nicht anders«, denkt er, »nur mit Vergebung und mit Geduld. Nein, anders funktioniert es nicht, bei keinem … Seltsam.«
    Der Dame scheint ähnliches durch den Kopf zu gehen, bei der mittäglichen Mahlzeit sitzen sie sich stumm gegenüber, der Übeltäter kauert unsichtbar hinter dem Ofen. Theres trägt blaß und mit Leidensmiene das Essen auf; für die Küche wird man eine Aushilfe einstellen müssen, denn die Bißwunden des Opfers heilen schlecht. Der schlimmste Groll des Herrn aber hat sich verflüchtigt. »Ein Rebell«, sagt er nach dem Essen vertraulich zur Dame. »Das gibt es. Er kann nichts dafür. Natürlich muß er aus der Gesellschaft entfernt werden, wie es auch unser Freund mit den harten Konsonanten so passend zum Ausdruck gebracht hat. Aber am Wesentlichen ändert das nichts, nämlich daran, daß der Geist der Rebellion in ihm steckt. Und was weiß er schon davon? Erinnerst du dich an Josua? Nicht an den biblischen, an den anderen, den Tapezierer, der jetzt im Zuchthaus sitzt? Seine ideologische Bildung war sehr bescheiden, von Theorien hatte er keine Ahnung – er trug einfach den Geist der Rebellion in sich, das gibt es, und wohin er sich auch begibt, die Luft um ihn wird sofort unruhig, und die Menschen befällt eine Erregung, in seiner Nähe haben sich auch vernünftige, nüchterne Theoretiker auf unsinnige Aktionen eingelassen, zahme, unbedarfte Arbeitstiere sich besonnen, sind aufsässig geworden, als ob Josua es ihnen erklärt hätte … dabei hat er überhaupt nichts erklärt. Hat einfach nur gelebt und mit jedem Atemzug Rebellion verströmt … und dann beging er dieses sinnlose Attentat, jetzt liegt er in Ketten bis zum Ende seiner Tage. Aber selbst im Zuchthaus geht von ihm noch Aufruhr aus, durchdringt die Mauern – und ich bin überzeugt, da ist keine Kraft, die das unterdrücken kann. Ja, so etwas gibt es.« Dann schweigen sie. Ihnen ist sonderbar zumute.
    Vielleicht liegt der Grund in dieser Unsicherheit, die es ihnen nicht erlaubt, Tschutora allein für die von ihm begangenen Sünden verantwortlich zu machen. Sie veranlaßt die Dame auch dazu, am Abend, als sie heimkommen, hinter dem Rücken des Herrn gütlich die Hand nach dem Hund auszustrecken, um ihn zu streicheln, ihm ein Zeichen zu geben, daß sie trotz allem und im Gegensatz zu gewissen kalten, unbarmherzigen Literaten mit ihm fühlt. Der Herr ist noch nicht ganz an der Schwelle seines Zimmers, als ihn ein Schmerzensschrei zusammenfahren läßt. Der Aufschrei ist ehrlich und trotz des Schmerzes dezent und beherrscht, fast verschämt. Tschutora hat nach der ihm zutraulich hingestreckten Friedenshand der Dame geschnappt.
    Der Herr säubert und verbindet die Wunde, sie ist tief und gründlich wie alles, was Tschutora vollbringt. Seine Vorderzähne haben die Hand der Dame fast durchgebissen, die Wunde blutet, der Hund scheint einen Nervenstrang erwischt zu haben, denn die Dame kann ihren Weinkrampf, den sie unmittelbar nach dem Biß bekommen hat und der dann mit kurzen Unterbrechungen bis zum Morgen andauert, einfach nicht unterdrücken. Sie haben die Wunde verbunden, sind beide sehr blaß und schweigsam. Der Herr geht in die Diele hinaus, holt seinen Spazierstock hervor und tritt vor den Ofen. »Verreck, du Biest!« sagt er ruhig, aber entschlossen. In dem Augenblick ist er tatsächlich ruhig und entschlossen, nur spürt er ein eigenartiges Zittern in der Hand. Die Dame stürzt ins andere Zimmer hinüber, wirft sich aufs Sofa und hält sich die Ohren zu, das Drama nähert sich seinem Höhepunkt, Theres wacht auf, viele andere im Haus vermutlich
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