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Ein Hund mit Charakter

Ein Hund mit Charakter

Titel: Ein Hund mit Charakter
Autoren: Sándor Márai
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gerechnet hat.
    Der Hund weint.

Epilog und Lehre

    Er weint mit wenig Tränen, nur ein paar Tropfen sammeln sich in den Winkeln seiner dunkelblau leuchtenden Augen, die beim Tier von der gleichen Drüsentätigkeit ausgelöst werden wie beim Menschen; es ist eher nur sein regungsloser Körper, der nervös ist, das unentwegte Zittern zeugt von Erregung, dieser eigentümlichen und der des Menschen verwandten Erregung, die auch ihn erfüllt. Er weint lautlos, ohne Klagen, es ist nichts Theatralisches in seinem Weinen, er will seinen Schmerz mit niemandem teilen. Der Herr streckt seine Hand nach einer Zigarette aus und stellt staunend fest, daß die Hand noch immer zittert. Er steht auf, tritt ans Fenster, die Bäume werfen schon feuchte, grüne Schatten in das dumpfe Licht, über der Generalswiese hebt sich der Nebel. Lange betrachtet er dieses Bild. Tastet sich durch das noch dunkle Zimmer, am Spiegel vorbei, sieht seine blutunterlaufenen Augen, er bewegt sich schwer, spürt sein Herz. Dann setzt er sich an seinen Platz, dem Hund gegenüber.
    »Heul nicht«, sagt er zu ihm. Und als das Tier sich nicht rührt: »Heul nicht, du Kreatur!« wiederholt er. Seine Zunge ist schwer. »Soll ich sagen, daß es mir leid tut? Vielleicht tut es mir gar nicht leid. Nehmen wir Abschied voneinander. Am Abend gehen wir beide hinaus in die Welt, denn die Idylle ist zu Ende. Alles Gute, auch für dich. Irgendwas ist zwischen uns geschehen, für das wir noch keinen Namen haben. Vielleicht passen wir nicht zueinander. Vielleicht hast du es besser draußen in der Welt, bei der Herde, bis dir nicht irgendein Rind einen Tritt versetzt. Aber das interessiert mich gar nicht mehr, weil ich dich nicht mag. Du weißt, daß ich dich gern haben wollte, vielleicht habe ich da einen Fehler gemacht, so etwas kann man nicht wollen. Wahrscheinlich verstehe ich auch nichts von Hunden, wir haben uns nicht verstanden, verschiedene Sprachen gesprochen. Tut mir leid. Gut, ich habe mich geirrt, und wie es in solchen Situationen üblich ist, sage ich: Geh hinaus in die Welt, auch ich gehe, vielleicht für längere Zeit, man weiß ja nie. Aber wenn ich zurückkomme, will ich dich hier nicht mehr sehen. Zwischen uns ist es aus – wann geht so etwas in die Brüche? Du weißt es auch nicht? Daß du mich gebissen hast, war ehrlich, und ich bin dir nicht böse drum; doch daß du weinst, das erniedrigt mich; laß es, bitte. Vielleicht war mein Fehler, daß ich mich nicht genug als dein Herr aufgeführt habe, wie das die Fachbücher vorschreiben; vielleicht geht es unter Lebewesen wirklich nicht anders als mit festen Regeln, mit Peitsche, mit Schinder. Wenn es so ist, will ich nichts damit zu tun haben. Ich verstehe nichts von der Welt. Geh und lebe, wie du magst, und rebelliere, wie es dir gefällt. Mich hast du gelehrt, daß ich zu ungeschickt bin, auch im Umgang mit minderwertigen Wesen, wie du es bist; vielleicht braucht man viel mehr Geduld, Güte und Demut zum Leben, als mir zu Gebote stehen. Du bist zwar nur ein Hund: Sonderbar, aber auch mit dir bin ich gescheitert … Ich verspreche dir, daß du lange keinen Nachfolger haben wirst, falls dich das tröstet. Ja, du warst etwas Besonderes, wie jedes Leben, dazu ein Charakter, eine Persönlichkeit, wenn du so willst … Also dann, geh, in Gottes Namen!«
    Er hebt seine lädierte Hand an und steht auf. Der Hund erhebt sich ebenfalls, geht auf die Tür zu, schaut nicht links und nicht rechts, gibt auch keine Antwort, gleichmütig, müde und ohne Pathos, als wäre sein Auftrag unter den Menschen erledigt, alles gesagt und nichts mehr zu erwidern, als hätte er jetzt sowohl die kleine wie die große Welt gesehen und sich auf seine Weise ein Urteil gebildet: humpelnd schleicht er hinaus und wendet sich nicht mehr um.
    *
    … In diesem ein wenig überhitzten Augenblick wollen wir Tschutora verlassen. Nach all den Komplikationen, den vergnüglichen und traurigen Wechselfällen wird auch ihn ein ganz triviales Hundeschicksal ereilen; aber das ist dann schon ganz allein Sache dieses unbedeutenden Lebens, und es wäre geradezu unschicklich, den Leser noch weiter mit derlei drittrangigen Privatangelegenheiten zu behelligen.
    Alles ist ohnehin nur noch Erinnerung, das Vergessen von Jahren hat sich darübergebreitet, und Tschutora ist im Gedächtnis der Hinterbliebenen längst dem Schattenreich anheimgefallen. Gelegentlich wird noch der einen oder anderen seiner Bewegungen oder einer ihm eigenen Charaktereigenschaft gedacht
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