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Ein Hund mit Charakter

Ein Hund mit Charakter

Titel: Ein Hund mit Charakter
Autoren: Sándor Márai
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Gegenstände an, die der Dame zum persönlichen Gebrauch dienen – ihre Hausschuhe, ihre Lederhandtasche, ja sogar die goldene Armbanduhr. Der Herr nimmt die Missetaten des Hundes mit Genugtuung und kaum verhohlener Schadenfreude zur Kenntnis, denn er weiß, daß die Dame den Hund hinter seinem Rücken gegen ihn aufhetzt – ohne ausgesprochene Absicht, einfach nur, um nicht ganz aus der Übung zu kommen, und aus Gewohnheit, damit sie ja keine Gelegenheit versäumt, vor der Welt gegen den Herrn für einen anderen Partei zu ergreifen; was ganz natürlich und verständlich zwischen Menschen ist, die geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen zufolge gezwungen sind, zusammenzuleben. Der Hund hält sich also an die Dame, die ihm in langen Reden Trost spendet und ihn sogar heimlich gegen den hartherzigen Herrn aufwiegelt. Sie äußert mehrmals, daß sich durch Tschutoras stummes, unbeholfenes Flehen selbst Steine erweichen lassen würden, und nur Literaten, die bekanntermaßen bar aller menschlichen Gefühlsregungen sind, brächten es übers Herz, sich so kalt, nachtragend und anhaltend feindselig zu gebärden wie Tschutoras Herr. Man kann sich gut vorstellen, daß da auch der Hund Oberwasser bekommt. Und dank der Belehrungen und Ermunterungen werden im Verhalten des Hundes die stummen Bitten um Vergebung und dezente Vorhaltungen bald durch Anzeichen offener Empörung abgelöst, und es kommt die Zeit, da Tschutora nicht mehr von seinem Lager aufspringt, wenn er seines Herrn ansichtig wird, da er nicht mehr in stiller Demut und voll schuldbewußter Selbstanklage der vergebenden Geste harrt, vielmehr überhaupt nichts mehr erwartet, sondern sich völlig an die Dame hält, sich seinen Herrn ganz aus dem Herzen reißt und, wenn er ihm begegnet, zu fluchen und zu knurren anfängt; es fehlt nur noch, daß er ausspuckt, bevor er sich in seine Trutzburg hinter dem Ofen zurückzieht. So weit sind wir jetzt. Wer je einen Hund besessen hat, weiß, daß damit das Ende gekommen ist – nicht allein das Ende diesen Berichts, nein, das Ende eines auch nur halbwegs erträglichen Verhältnisses zwischen Hund und Mensch.
    Der Hund, der seinen Herrn verleugnet – wer ihn dazu auch ermuntert oder was immer er seitens seines Herrn an Unrecht erfahren hat –, mag eine charakterliche, eine psychologische Besonderheit, kann ein Romanheld sein, aber als Hund ist er sicher das allerletzte und verdient, daß er selbst als Kadaver noch von der Erde ausgespien wird, daß ihm sogar der Eingang ins Hunde-Elysium versagt bleibt, wo von den Lebenden das Andenken an die Hunde hochgehalten wird. Das ist jedenfalls die Meinung des Herrn, nachdem er sich davon überzeugen mußte, daß der Hund mit ihm gebrochen hat. Betroffen, dann empört und fast angewidert äußert er den Wunsch, den untreuen Köter so bald wie möglich aus dem Haus zu schaffen, er habe jetzt ohnehin eine längere Reise vor. Und er weist die Hausgenossen nachdrücklich und mit allen Konsequenzen darauf hin, daß er bei seiner Rückkehr den Hund nicht mehr in der Wohnung anzutreffen wünscht. Zu dieser Verbannung kommt es nach all den bitteren Erfahrungen von Wochen und Monaten, aber es wäre nicht fair, zu unterschlagen, daß der Herr trotz der tiefen Verletzung und aller Empörung nur widerstrebend, gekränkt und ziemlich bedrückt zu dieser Entscheidung gekommen ist. Die Beziehung zwischen Herrn und Hund ist in offene Feindschaft und gegenseitige Ablehnung umgeschlagen – tagelang sehen sie sich kaum. Wenn sie aufeinandertreffen, dauert diese Begegnung gerade nur so lang, bis Tschutora sich unter bösartigem Murren an ihm vorbei hinter dem Ofen verkrochen hat; sie haben schon lange keine Worte mehr füreinander.
    Wie ist es dazu gekommen? Was für ein rätselhaftes Phänomen ist doch der Charakter? Das gibt es also, denkt der Herr verblüfft und schmerzlich enttäuscht. Man kann es kaum fassen, aber so etwas gibt es … Eine Lehre daraus zu ziehen wäre noch zu früh, er betrachtet den Hund zuweilen mit einer Mischung aus Haß und Betroffenheit: als wäre nicht er selbst es gewesen, der das Tierchen in der Manteltasche als preiswertes Symbol der Liebe mitgebracht hat, und als hätte nicht er ihn in die kleine und in die große Welt eingeführt – sollten denn alle Zärtlichkeit, Mühsal und Freundschaft, die er für ihn aufgewendet hat, ganz aus dem Gedächtnis dieser gemeinen, fast schon vatermordenden Kreatur verschwunden sein, keinerlei Spuren hinterlassen haben?
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