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Die Hueterin der Krone

Die Hueterin der Krone

Titel: Die Hueterin der Krone
Autoren: Elizabeth Chadwick
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    Speyer, Deutschland, Sommer 1125
    Matilda hielt die Kaiserkrone ihres verstorbenen Mannes in den Händen. Sie spürte den kalten Druck der Juwelen und des harten Goldes. Das Licht, das durch das bogenförmige Fenster hereinströmte, ließ die warme Patina des Metalls erstrahlen. Heinrich hatte diese Krone an Festtagen und zu offiziellen Anlässen getragen. Sie besaß ein Gegenstück aus Gold und Saphiren, das von den besten Goldschmieden des Reichs für sie angefertigt worden war, und hatte im Laufe ihrer elfjährigen Ehe gelernt, ihr Gewicht mit Würde und Anmut zu tragen.
    Ihre Untertanen nannten sie »Matilda die Gütige«. Im Gegensatz zu früher sah sie sie nun als ihre Untertanen an, und sie betrachteten sie als ihre Herrscherin. Einen Moment lang zog sich ihr Herz vor Kummer so stark zusammen, dass ihr der Atem stockte. Heinrich würde diese Krone nie wieder tragen, ihr nie wieder dieses Lächeln schenken, bei dem sich seine Lippen in belustigtem Ernst kräuselten. Sie würden nie wieder zusammen in ihrer Schlafkammer sitzen und kameradschaftlich über Staatsangelegenheiten diskutieren oder sich bei einem Bankett einen goldenen Becher teilen. Kein seinen Lenden und ihrem Schoß entsprungener Nachkomme würde einst auf dem Kaiserthron sitzen, weil es Gott für richtig gehalten hatte, ihren Sohn noch in der Stunde seiner Geburt zu sich zu nehmen, und nun ruhte Heinrich selbst hier in der roten Steinkathedrale in seinem Grab, und ein anderer Mann herrschte über alles, was einst ihr gehört hatte.
    Matilda, die Gütige. Matilda, die Kaiserin. Matilda, die kinderlose Witwe. Die Worte hallten dumpf in ihrem Kopf wider wie Schritte in einer Gruft. Wenn sie blieb, würde sie ihrer Liste von Titeln noch Matilda, die Nonne, hinzufügen müssen, und sie hatte nicht die Absicht, sich in ein Kloster zurückzuziehen. Sie war dreiundzwanzig Jahre alt, jung, kräftig und vor Energie sprühend, und in der Normandie und England, dem Land ihrer Geburt, an das sie sich jetzt nur noch verschwommen erinnerte, erwartete sie ein neues Leben.
    Sie drehte sich um und reichte die Krone ihrem Haushofmeister, damit er sie in ihre Einzelteile zerlegen und in dem ledernen Reisekästchen verstauen konnte.
    »Herrin, wenn es Euch beliebt … Eure Eskorte ist bereit.«
    Matilda musterte den weißhaarigen Ritter, der sich auf der Türschwelle verneigte. Ebenso wie sie hatte er für die Reise einen dicken Reitumhang angelegt und trug feste Stiefel aus Kalbsleder. Seine linke Hand ruhte leicht auf dem Griff seines Schwertes.
    »Danke, Drogo.«
    Während die Diener ihre restlichen Gepäckstücke forttrugen, schritt sie langsam durch die Kammer und betrachtete die kahlen, ihrer leuchtend bunten Behänge beraubten Wände, die leeren Bänke am Kamin und das ersterbende Feuer. Bald würde nichts mehr davon zeugen, dass sie jemals hier gelebt hatte.
    »Abschied zu nehmen ist immer schwer, Herrin«, bemerkte Drogo voller Mitgefühl.
    Matilda blieb an der Tür stehen. Ihr Blick schweifte immer noch wie in einem unsichtbaren Netz gefangen durch das Zimmer. Sie erinnerte sich daran, wie sie mit acht Jahren am Ende der langen Reise von England vor Erschöpfung zitternd in der großen Halle in Liège gestanden hatte. Noch immer vermochte sie sich die Furcht ins Gedächtnis zu rufen, die sie damals empfunden hatte, und sie spürte den auf ihr lastenden Druck, als sie aus ihrem sicheren Nest gestoßen, in ein fremdes Land geschickt und mit einem erwachsenen Mann verlobt worden war. Die Verbindung war arrangiert worden, weil sie den politischen Plänen ihres Vaters zupasskam, und sie hatte gewusst, dass sie ihre Pflicht erfüllen musste und nicht seinen Unmut erregen durfte, indem sie ihn enttäuschte, denn er war ein großer König und sie eine Prinzessin von hohem königlichen Geblüt. Alles hätte in einer Katastrophe enden können, doch stattdessen hatte diese Ehe sie geformt und aus dem verängstigten, aber lernbegierigen Mädchen eine majestätische Frau und würdige Gefährtin des Kaisers von Deutschland gemacht.
    »Ich bin hier glücklich gewesen.« Sie berührte den geschnitzten Türpfosten; eine Geste, mit der sie sich an diesen Ort band und zugleich Abschied von ihm nahm.
    »Euer Vater wird sich freuen, dass Ihr wieder nach Hause kommt.«
    Matilda ließ die Hand sinken und strich ihren Umhang glatt. »Du musst mich nicht beruhigen wie ein nervöses Pferd.«
    »Das lag auch nicht in meiner Absicht, Herrin.«
    »Was wolltest du denn dann?« Drogo
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