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Ein gefährliches Werkzeug

Titel: Ein gefährliches Werkzeug
Autoren: David Christie Murray
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Erstes Kapitel.
    Am letzten Tage der Schwurgerichtssession stand Reuben Gale, ein hochangesehener, in Holborn wohnhafter Werkzeugfabrikant, unter der Anklage schweren Diebstahles und Raubes, verbunden mit vorsätzlicher schwerer Körperverletzung vor den Schranken des Gerichtes. Der Fall hatte großes Aufsehen erregt und der Gerichtssaal war gedrängt voll. Die Luft war von Staub und Oelgeruch erfüllt und wurde gleich drückend empfunden von dem Richter, den Advokaten, den Geschwornen und den Gerichtsdienern, die sämtlich zwar müde und abgespannt waren, aber durch das undurchdringliche Geheimnis, das diesen Fall umgab, in Spannung erhalten und aufgeregt wurden.
    Jedenfalls sah der Angeklagte nicht aus wie ein Einbrecher. Man konnte sich ihn unschwer vorstellen, wie er hinter seinem Ladentisch stand und die Hände reibend fragte: »Womit kann ich dienen?« oder wie er einer Pfarrgemeinderatssitzung anwohnte oder im Schoße seiner Familie ausruhte; allein ganz unmöglich konnte man sich diesen Mann bei einem verbrecherischen, mitternächtlichen Unternehmen beteiligt denken. Er war ein Mann von mittlerer Größe, von magerem, sehnigem Körperbau und trug einen schwarzen, nur etwas allzu völlig zugeschnittenen Anzug und tadellose Wäsche. Sein kurzgeschorenes dunkles Haar begann sich grau zu färben und der sorgfältig gestutzte kleine Backenbart war schon ganz weiß. Er hatte etwas große braune Augen mit dem Ausdruck milder, beobachtender Lebhaftigkeit.Um den Hals hatte er einen Zwicker, den er indessen nicht zu benützen schien, und in der rechten Hand hielt er ein zu einer kleinen Kugel zusammengeballtes Taschentuch, mit dem er sich von Zeit zu Zeit das Gesicht abwischte; ein andres Zeichen von Unruhe und Verwirrung war nicht an ihm wahrzunehmen. Uebrigens wischten sich in dieser erstickenden Hitze auch andre Leute das Gesicht, als stünde ihr Leben auf dem Spiel.
    Herr Wyncott Esden, der Verteidiger, wandte sich in äußerst klarer und überzeugender Rede an die Geschwornen; er sprach ruhig, beweiskräftig, als ob er seiner Sache ganz sicher wäre, und faßte sozusagen jeden einzelnen Geschwornen am Rockknopf und legte ihm mit tiefer Ueberzeugung die Sache klar. Sein Ton und sein Wesen waren so verbindlich und so einschmeichelnd, daß die Geschwornen nicht umhin konnten zu glauben, sie seien dadurch viel klüger und besser geworden. Seine Beweisführung war so durchsichtig und klar, daß ein Kind ihre Richtigkeit hätte begreifen müssen. Außerdem wurde der Redner auch durch sein einnehmendes Aeußere unterstützt. Seine offenen, feingeschnittenen grauen Augen blickten ungemein klug und freundlich um sich. Man konnte sich nichts Verbindlicheres und Vertrauenerweckenderes denken, als seine Art sich zu geben.
    Er war so sicher, jedermann zu seiner Auffassung zu bekehren, er war so überzeugt, daß er recht hatte, und sein Benehmen drückte eine so hohe Meinung von dem Verstand seiner Zuhörer aus, daß diese geglaubt hätten, sich selbst ein Unrecht zuzufügen, wenn sie seine Ansicht bezweifelten. Er wußte wohl – kein Mensch konnte es besser wissen – so schien sein herzliches, überzeugendes Wesen zu sagen –, daß jeder Versuch, Männer von so hervorragendem Verstand wie die Herrn Geschwornen, hinter das Licht zu führen, vergeblich gewesen wäre. »Nein, wir wollen mit offenen Karten spielen und die Sache einmal näher betrachten. Hier haben wir die bekannten Thatsachen, aus denen Ihr logisch geschulter Verstand bereits diese und jene Schlußfolgerungen gezogen hat. Es ist nahezu abgeschmackt, auf diese Weise zu Ihnen zu reden, denn Sie können all die Thatsachen so gut oder gar besser wissen als ich, allein aus Rücksicht für fernerstehende unddümmere Leute müssen sie festgestellt werden. Wir dreizehn gescheite Leute wissen schon längst, daß der unschuldige Mann dort auf der Anklagebank das Opfer merkwürdiger feindlicher Umstände geworden ist, und werden ihm die Freundeshand reichen und durchhelfen.«
    Der Gerichtssaal war so überfüllt, daß sich eine Anzahl Personen selbst auf die Tribüne der Richter drängte; sie wurden wohl zurückgewiesen, kehrten aber so unverscheuchbar wie Fliegen immer wieder dahin zurück.
    Einem aufmerksamen Beobachter mußte unter dieser Gruppe besonders ein Gesicht auffallen. Es war das äußerst ruhige, kluge, entschlossene Gesicht eines Mannes in den besten Jahren. Obgleich dieser Mann heiter und alltäglich aussah, so zeigte er doch eine Miene, als ob ihn nichts
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