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Ein Hueter erwacht

Ein Hueter erwacht

Titel: Ein Hueter erwacht
Autoren: Vampira VA
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Essen. Und das war's auch schon. Meine Mutter hat mir immer gesagt, er hätte uns damals verlassen, weil er uns nicht mit seiner Krankheit belasten wollte. Er hat damals schon sehr viel getrunken, wissen Sie . äh, weißt du, und deswegen wollte sie mir weismachen, er wäre gegangen, weil er Alkoholiker war und sich vor sich selbst schämte. In Wirklichkeit ist er zu dieser anderen Frau gezogen. Meine Mutter wußte das auch ganz genau, wollte es sich aber nicht eingestehen, erst recht nicht vor mir, weil sie ihn immer noch lieb hatte.«
    Erschüttert schaute der alte Mann den Jungen aus traurigen Augen an und konnte nur ein leises »Mein Gott!« raunen.
    »Meine Mutter war furchtbar abergläubisch«, schien Thomas nun offenbar das Thema zu wechseln, aber der alte Justus wollte ihn nicht unterbrechen, denn möglicherweise half es dem Jungen ja, wenn er einmal jemandem alles erzählen konnte, was er auf dem Herzen hatte.
    »Sie ging niemals unter Leitern durch, kriegte einen Riesenschreck, wenn mal eine schwarze Katze ihren Weg kreuzte und solche Sachen«, fuhr Thomas fort. »Richtig schlimm wurde das alles aber erst, als mein Vater uns verließ. Das war an meinem dreizehnten Geburtstag. Ich habe davon alles gar nicht viel mitbekommen, von ihrem Streit, vor allem, weil meine Mutter sich nichts hat anmerken lassen. Erst hinterher, als ich meine Mutter die ganze Nacht weinen hörte und sie am anderen Morgen fragte, da sagte sie mir, daß mein Vater fortgegangen wäre. Das hat sie nie überwunden und von diesem Tag an, wurde ihr Aberglaube eine richtige Manie: Sie hatte zwar schon immer geglaubt, daß die Zahl 13 Unglück bringt, aber nun steigerte sie sich richtig da hinein und verknüpfte sie mit ihrem persönlichen Schicksal. Sie benutzte keine Treppe mehr, die dreizehn Stufen hatte, betrat niemals die dreizehnte Etage eines Hochhauses in der Stadt, blieb an einem Freitag, den 13. im Bett, meldete sich bei der Arbeit krank .
    Das ging ein paar Jahre so. Aber ihr Kummer schwand davon nicht, im Gegenteil, es wurde nur noch schlimmer, weil sie dadurch nur noch mehr an die Sehnsucht nach meinem Vater erinnert wurde. Bis zum Freitag, den 13. im letzten Monat. Wieder war sie zu Hause geblieben, hatte den ganzen Tag apathisch auf dem Sofa gelegen und sich abends dazu entschlossen, ein Bad zu nehmen. Ich lag vor dem Fernseher. Als ich irgendwann in der Nacht vor der flimmernden Mattscheibe aufwachte und mich darüber wunderte, daß meine Mutter mich nicht geweckt hatte, als sie zu Bett gegangen war, wurde ich unruhig.
    Als wenn ich Grund zu einer schlimmen Ahnung gehabt hätte, ging ich ins Schlafzimmer meiner Mutter und fand ihr Bett unbenutzt vor. Sofort rannte ich danach ins Bad, das nicht einmal abgeschlossen war. Da lag sie mit geschlossenen Augen und erzwungenem Lächeln in dem sich langsam abkühlenden Wasser, unter das sich ein roter Nebel gemischt hatte. Auf dem Badewannenrand lagen ein paar Rasierklingen. Sie hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten. Im Spiegel über dem Waschbecken stand mit Lippenstift geschrieben: NICHT BÖSE SEIN!
    Böse sein? Meine Mutter war die einzige, die mich immer verstanden hat, die immer gut zu mir gewesen war. Warum sollte ich also auf sie böse sein? Das waren meine einzigen Gedanken, als ich wie betäubt zum Telefon ging und die Notrufnummer wählte. Wie ich meinen Vater erreichen sollte, wußte ich nicht. Und ich wollte es auch gar nicht.«
    Justus war zu konsterniert, um noch irgend etwas zu sagen. Gerührt und tief betrübt legte er dem Jungen nur seine schwere Hand auf die Schulter.
    »Wie er es dann schließlich herausgefunden hat, kann ich nicht sa-gen«, fuhr Thomas fort. »Jedenfalls stand er bei der Trauerfeier auf einmal hinter mir, gerade in dem Augenblick, als ich mich von meiner Mutter verabschieden wollte, als ich ihr dreizehn rote Rosen in die Arme legte. >Dieses verrückte Huhn<, flüsterte er mir ins Ohr, als sich das Förderband mit dem Sarg darauf langsam in Bewegung setzte, auf die kleinen Türen zu, hinter der sich der Verbrennungs -ofen befand, >hat sich doch tatsächlich wegen ihres Spleens umgebracht! Dreizehn Rosen, hm? Wie es scheint, wirst du ja genau in ihre Fußstapfen treten, was, mein Sohn?< Als ich mich zu seiner grinsenden Visage umdrehte und seine Fahne roch, wußte ich zwar, daß er betrunken war, doch ich konnte mich nicht beherrschen: Ich trat ihm mit voller Wucht gegen das Schienbein und ging unter Tränen nach Hause. Ich hatte nicht mal genug Geld
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