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Einfach ein gutes Leben

Einfach ein gutes Leben

Titel: Einfach ein gutes Leben
Autoren: Peter Ploeger
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    Ich fahre einen alten Ford Fiesta, Baujahr 1995, gebraucht gekauft, Austauschmotor. Er ist vergleichsweise wenig gefahren worden, vielleicht war er einmal ein Garagenwagen, trotzdem rasselt er die ganze Zeit. Die Nockenwelle, sagt die Werkstatt, alle Fiestas dieser Baureihe rasseln, weil die Nockenwelle nicht wie bei anderen Modellen innen liegt, sondern unter dem Motorblock. Das Geräusch sei mithin konstruktionsbedingt. Ich horche nicht mehr danach, seitdem ich die Diagnose gehört habe, letztgültig beruhigt bin ich dennoch nicht. Ein Rasseln aus dem Motorraum bleibt ein Anlass für Restnervosität, etwas läuft nicht ganz rund, und nur geräuschloses Funktionieren gibt mir das kommode Gefühl, dass alles in Ordnung ist – Sozialisation, Gene, Lernen an schlechten Beispielen, ich weiß nicht. Vielleicht auch einfach die Tatsache, dass die wirklich bösen Geräusche wegen des neutralen Nockenwellenrasselns jetzt nicht mehr so gut zu hören sind.
    Mein Bruder ist Automechaniker, er hört auch Dinge in Autos, die weit jenseits meiner Wahrnehmungsschwelle liegen. Er hat schon Abnutzungsschäden an Radlagern erkannt, bevor sie überhaupt aufgetreten sind. Ein bisschen wie der Maschinist Johann in Das Boot , der seine riesigen Dieselmotoren trotz der infernalischen Geräuschkulisse immer noch nach Ohr einstellt. Das Rasseln ist normal, bestätigt mein Bruder, aber was ist das für ein Klopfen hinten rechts?
    Spätestens nach der Auspuffreparatur bin ich sehr sensibel für das Auto geworden. Ich höre die Flöhe husten, sagt man wohl. All die kleinen Nebengeräusche beim Fahren mögen nichts zu bedeuten haben, dennoch bleibt der beklemmende Eindruck: Etwas läuft nicht rund, und ich frage mich, was das sein könnte. Der Wagen fährt doch. Ich erwische mich bei skeptischen Gedanken: Soll ich ihn weiterfahren, bis er sein natürliches Ende bei Kilometer 200.000 plus x findet, oder ihn doch nach Ablauf der TÜV-Periode an einen Gebrauchtwagenhändler verhökern. Schließlich möchte ich nicht mit ihm liegen bleiben, mitten auf der Autobahn. Eigentlich ist so ein Auto ohnehin Luxus, wenn man in der Großstadt wohnt. Eigentlich müsste ich mich nur aufraffen, noch mehr mit dem Zug, der Straßenbahn oder dem Fahrrad zu fahren.
    Lisa Pfleger und Michael Hartl stehen vor dem Regal im Supermarkt und hören es rasseln. Es rasselt nur in ihrer Vorstellung, aber dennoch so laut, als könnten sie es mit den Ohren wahrnehmen. Etwas stimmt nicht, es ist Sand im Getriebe, der Schuh drückt, und es hat mit der Frage zu tun, die beiden seit Längerem auf der Seele liegt: »Brauchen wir wirklich die Auswahl zwischen acht verschiedenen Sorten Butter oder fünf Anbietern von einfachem Tomatenketchup?« Die beiden jungen Leute haben es schwerer als ich mit meinem Auto. Ein Auto ist nur ein simpler Gebrauchsgegenstand, ihnen geht es aber um die ganze Konsumpalette. Bei ihnen wächst der Argwohn darüber, ob sie nicht doch auf Konstruktionsfehler im Marktgetriebe gestoßen sind und ob sie diese noch weiter hinnehmen wollen. Es fällt nicht leicht, sich einzugestehen, dass etwas grundsätzlich falsch läuft, wenn die große Masse der Zeitgenossen weiter in ein und dieselbe Richtung schiebt. Aber ganz allein sind die beiden auch nicht. Es rasselt an jeder Ecke, und immer mehr Leute hören hin.
Eine Ahnung
    »Brauche ich das eigentlich?«, fragen Lisa und Michael. Ein Stück Büffelmozzarella in der Hand haltend, das man gerade aus dem Regal gezogen hat, ist das keine Frage, die einen weiterbringt – oder auch nur aus der Abteilung für Molkereiprodukte heraus. »Brauche ich das, oder will ich das einfach nur haben?« Die Frage ist schon differenzierter, hilft aber vor dem Käseregal genauso wenig. Liegen dort dann auch noch drei, vier Sorten Mozzarella aus, wird klar: Den Warenmarkt als solchen interessiert die Frage nicht. Er überschwemmt uns – ob wir wollen oder nicht – mit einem Angebot, das die mythologischen Füllhörner nach Askese aussehen lässt. Und seien wir ehrlich: Die meisten von uns interessiert die Frage auch nicht, wenn sie einkaufen gehen. Wir haben uns im Stillen meistens schon entschieden: zu einem generalisierten »Ja!« zum Kaufen schlechthin. So wandern Büffelmozzarella, Butter und die Flasche Ketchup in den Korb.
    Wir, das heißt die Bewohner der sogenannten »westlichen Industriestaaten«, sind heute in der sehr glücklichen Lage, prinzipiell immer alles bekommen zu können, was wir zum Leben
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