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Ein Hueter erwacht

Ein Hueter erwacht

Titel: Ein Hueter erwacht
Autoren: Vampira VA
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für ein richtiges Begräbnis gehabt und mußte meine Mutter einäschern lassen, da tauchte zu allem Überfluß mein Vater auf, der Schuld an allem gewesen war und mußte mir auch noch den Abschied von meiner Mutter verleiden. Als ich schließlich zu Hause ankam, wartete mein Vater schon auf mich.
    >Du hast bei deinem überstürzten Aufbruch vorhin etwas vergessen, glaube ich<, verhöhnte er mich mit lallender Stimme und balancierte eine Urne auf einem Tablett durch das Wohnzimmer nach draußen. >Willst du sie auf dem Kaminsims haben oder doch lieber im Garten vergraben? Vielleicht bei den Rosen?< Ich weiß nicht, wie es passierte und auch nicht, ob es seine Absicht war oder ob es einfach nur daran lag, daß er betrunken war. Jedenfalls kam mein Vater ins Straucheln, ließ die Urne fallen, wobei sich ihr Deckel öffnete und die Asche meiner Mutter im Wind zerstreut wurde! Möglicherweise ließ ihn dies nüchtern werden, denn mein Vater verließ mich daraufhin, ohne ein Wort zu sagen, und ich habe seitdem nichts mehr von ihm gehört. Zum Glück!«
    Der alte Justus konnte nichts sagen, er hatte nur noch Schweigen für den Jungen. Der aber fuhr fort, ruhig, als hätte er in seinem Innern endlich eine Quelle der Kraft gefunden, deren Plätschern er bislang in seinem Aufruhr überhört hatte.
    »Ja, seitdem bin ich allein. Niemand scheint das zu kümmern. Meine Nachbarn wissen alle, daß ich alleine in der Wohnung meiner Mutter lebe. Ihnen ist es egal. Nicht einer ist seit ihrem Tod zu mir herübergekommen und hat gefragt, ob alles in Ordnung ist. Niemand redet mit mir. Nur . vielleicht . meine Mutter. Die hat mir sonst immer zugehört. Aber nun . ich weiß ja nicht mal, wo sie ist, wo ich mit ihr reden kann. Deswegen komme ich immer hierher, an diesen Grabstein, unter dem auch niemand liegt, zu dem man aber gehen kann, wenn man um jemanden trauern will, der irgendwo anders begraben ist. Deswegen habe ich dich gefragt, ob sie uns hören können. Ob sie uns überhaupt verstehen, wenn unsere Stimme erst durch diese ganze Erde muß, die auf ihnen liegt. Oder wenn sie überhaupt nicht unter der Erde liegen .«
    Der Oberkörper des Jungen sackte nach vorn, und man konnte ihn ganz leise weinen hören. Justus wischte sich die Feuchtigkeit aus den Augenwinkeln und mußte sich mehrmals räuspern, bevor er seine Stimme wiederfand.
    »Ich verstehe dich, mein Junge!«
    »Nein, das tust du nicht!« hörte der alte Mann Thomas mit einer Kälte in der Stimme widersprechen, die er zuvor nicht an ihm wahrgenommen hatte. »Niemand versteht mich. Nur meine Mutter hat das getan. Das hat sie immer. Und sie wird mich auch jetzt noch verstehen. Deswegen will ich zu ihr! Ich kann nicht in dieser Welt bleiben, in der sich niemand um den anderen kümmert, in der niemand dem anderen zuhört . ihr habt sie mir genommen, diese Welt! Dann will ich sie auch nicht länger mit euch teilen.«
    Der alte Justus verstand genau, was der Junge sagte, wußte, daß es gefährlich war, ihn nicht ernst zu nehmen, mit dem, was er sagte, denn als er in dessen entrücktes Gesicht blickte, sah er in den Augen des Jungen bereits ein Licht im Spiegel der ersterbenden Sonnenstrahlen glimmen, das nicht mehr aus der Welt der Vernunft geboren sein konnte.
    »Aber ich weiß nicht, wie ich das machen soll. Ich habe Angst davor, den letzten Schritt zu tun. Darum bin ich immer hier. Ich frage mich ... sie, wie es wohl sein mag, wenn man tot ist. Aber bisher hat sie mir nie geantwortet!«
    »Ich verstehe ganz genau, was du meinst! O ja! Und ich kann dir sagen: Auf ihre Antwort kommt es nicht an!« entgegnete Justus dem Jungen in einem verhältnismäßig beiläufigen Ton, ohne ihn direkt anzuschauen, als wenn die Worte des Jungen ihn eher desinteressiert ließen, was dem aufgewühlten alten Mann allerdings recht schwerfiel.
    »Blödsinn!« schnaubte Thomas und sprang mit einem wilden Satz von der Onyxplatte. »Du verstehst mich auch nicht. Niemand auf der Welt kann das!«
    Er langte nach seinem Rucksack und wollte Justus in seiner Seelenpein gerade den Rücken zudrehen, als dieser wie nebenbei den Pfeifenkopf am Absatz seines Gummistiefels ausklopfte und sich zwang, den Jungen trotz seines vor Furcht klopfenden Herzens nur mit ruhiger Stimme, statt einer verzweifelten Umarmung am Fortgehen zu hindern.
    »Wenn du noch einen Augenblick Zeit hast, mein Junge, würde ich dir gern etwas zeigen!«
    Thomas blickte zu Boden und rang mit sich selber. Er seufzte leise, aber doch irgendwie
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