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Ein Hueter erwacht

Ein Hueter erwacht

Titel: Ein Hueter erwacht
Autoren: Vampira VA
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ergehen«, sagte er. »An nichts wird es unserem Sohn mangeln.«
    Sein Blick wanderte hinauf zum höchsten Ort der Stadt. Die Nacht schlug ihn ein in ihren dunklen Mantel, den das Mondlicht nicht durchdrang.
    Kerets Stimme sank zu einem Flüstern, in dem ein ganz vager Hauch von Ehrfurcht klang.
    »Die Götter haben ihn zu sich genommen ...«
    *
    In derselben Nacht, in dieser Stadt - nur wenig später Eines Menschen Auge mußte hier nahezu blind sein. Die Lichter waren so sparsam gesetzt wie Sterne an einem verhangenen Nachthimmel, und so erhellten sie den Ort kaum, sondern vertieften seine Finsternis eher noch.
    Doch die elf Kinder, die in der Mitte des Raumes zusammengetrieben worden waren, kannten keine Furcht, nicht vor der Dunkelheit, und auch ihr ungewisses Schicksal ängstigte sie nicht. Jene, die die Kinder - keines von ihnen älter als im vierten Jahr - an diesen Ort gebracht hatten, aus den Häusern und Hütten ihrer Eltern heraus entführt, hatten ihnen alle Angst genommen und ihren Willen gebrochen, so daß sie nun gehorsam, teilnahmslos dastanden und der Dinge harrten, die ihnen in dieser Nacht bestimmt waren.
    Ihren Entführern indes genügte das wenige Licht sehr wohl zum Sehen. Ihr besonderer Blick bestrich alles mit rötlichem Glanz, wie von frischem Blut. In manchem Augenpaar funkelte mühsam bezwungene Gier nach dem Blute eben dieser Kinder, doch es war ihnen tabu.
    Dennoch waren die Kinder schon dem Tode geweiht. Noch in dieser Nacht sollten sie sterben, um dann jedoch zu neuem Leben zu erwachen. In der Obhut derer, die sie unter allen Kindern der Stadt ausgewählt hatten, würden sie aufwachsen, viel schneller als jedes gleichaltrige Menschenkind, und alsbald schon würden sie vollwertige Mitglieder der Sippe sein. Wenn ihr Blut erst einmal geschwärzt war nach dem Trunk aus dem unheiligen Gral der Alten Rasse .
    Um zwölf junge Brüder sollte die Sippe der Stadt in dieser Nacht wachsen.
    Und eben wurde das letzte Kind gebracht. Zwei Vampire führten den Knaben zwischen sich ins Innerste des Tempels, in dem die Menschen draußen tatsächlich die Wohnstatt von Göttern sahen. Daß in den Priestern und Wächtern dieses Tempels längst alles Leben erloschen war und nur der Tod sie noch bewegte, ahnte keiner. Zu groß war die Ehrfurcht der Menschen, als daß es auch nur einer gewagt hätte, die Geheimnisse dieses Ortes ergründen zu wollen.
    »Endlich«, seufzte Priamos, als er der beiden letzten Ausgesandten ansichtig wurde. »Was hielt euch auf?«
    Einer der beiden Angesprochenen, Paris, verzog die Lippen zu einem häßlichen Grinsen. »Die Eltern dieses Knaben boten uns ungewollt ein köstliches Schauspiel, dem wir eine Weile beiwohnten.« Seine Geste war eindeutig.
    »In Nächten wie dieser sollt ihr euch nicht mit solcherlei Vergnügen ablenken«, belehrte das Sippenoberhaupt den Vampir, in dessen düsterem Blick das voyeuristische Vergnügen noch nachzuglimmen schien. »Wenn der Hüter seinen Besuch ankündigt, soll die Ehre unserer Aufmerksamkeit allein ihm zuteil werden.«
    »So sei es.« Paris neigte demütig das Haupt vor seinem Blutvater, während der zweite den Sohn Kerets und Moiras zu den anderen Knaben brachte.
    Im Kreis umstanden die Vampire dann die Kinder, wartend auf die Ankunft des Kelchhüters, aus dessen Hand sie alle einst im Lau-fe von annähernd tausend Jahren den Tod und neues Leben in einem empfangen hatten.
    Stunde um Stunde verging. Geduldig und reglos harrten sie aus. Bis das erste Licht des neuen Tages draußen an den Mauern hochkroch.
    Der Hüter jedoch kam nicht.
    Nicht in dieser Nacht, und in keiner der nächstfolgenden.
    Und so geschah etwas, das in tausend Jahren nicht geschehen war in dieser Stadt und nie wieder geschah: Die Todgeweihten durften auf Priamos' Geheiß hin heimkehren zu ihren Familien. Weil die Sippe nicht zu ihrer neuen Heimstatt geworden war und das Oberhaupt im Nichterscheinen des Hüters ein Zeichen dafür sah, daß diese Kinder wohl unberührt von der Alten Rasse bleiben mußten
    *
    Der Gedanke und das damit einhergehende Gefühl waren eigenartig, und der Hüter wußte nicht, woher beides rührte. Aber unleugbar waren sie da, in ihm. Und er zog eine Art seltsamer Erleichterung daraus.
    Der Kreis schließt sich, zum ersten Mal...
    Unvermittelt hielt der Hüter inne. Er zog am Zügel seines Pferdes, das unruhig auf der Stelle tänzelte, während er hinaufsah zum höchstgelegenen Bauwerk der Stadt, deren Tore ihm wie all die Male zuvor bereitwillig
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