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Ein Hauch Von Sterblichkeit

Ein Hauch Von Sterblichkeit

Titel: Ein Hauch Von Sterblichkeit
Autoren: Granger Ann
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auf Drängen ihrer Mutter mitgenommen hatte, und öffnete die Wagentür. Ihr Atem kondensierte augenblicklich in der eindringenden kalten Morgenluft. Niemand war in der Nähe. Die meisten Leute sitzen wohl beim Frühstück, dachte sie. Nur wenige Familien waren bereits bei Einbruch der Dämmerung auf den Beinen, so wie ihre eigene. Die Menschen erwarteten, dass ihre Briefe zusammen mit dem Frühstücksschinken und den Eiern auf dem Tisch waren. Mrs. Hancock hatte einen leichten Schlaf und war froh, wenn sie aufstehen und ihrer Tochter vor der Arbeit helfen konnte, obwohl Libby sie mehr als einmal gebeten hatte, sich keine Umstände zu machen. Doch es gab noch einen anderen Grund, aus dem Mrs. Hancock schon vor der Dämmerung in der Küche war. Onkel Denis empfand vier Uhr morgens – Gott sei Dank – als eine höchst unchristliche Zeit zum Aufstehen und schlummerte unbekümmert weiter. Libby und ihre Mutter schätzten die frühmorgendliche Tasse Tee und den Toast in der warmen Küche. Die Abwesenheit von Denis fand keinerlei Erwähnung, genauso wenig wie seine Anwesenheit. Hin und wieder jedoch ertönte ein leises Schnarchen aus dem Schlafzimmer im ersten Stock, und die beiden Frauen wechselten dann jedes Mal verstohlene Blicke. Libby beugte sich zum Beifahrersitz hinüber, wo sie den kleinen Postsack für Castle Darcy deponiert hatte. Die Sendungen für die beiden Cottages lagen zuoberst. Eine davon, ein Paket für das rechte Cottage, war mit einem Rückschein versehen und erforderte die Unterschrift des Empfängers. Ein zweites Paket war mit ein paar Briefen zusammengebunden – die morgendliche Post für das linke Cottage. Libby nahm beide zusammen mit ihrem Klemmbrett unter den Arm und stieg aus dem Lieferwagen. Während sie sich zum ersten Gartentor aufmachte, knirschte unter den Sohlen ihrer derben Schuhe das von Frost überzogene Gras. Auf dem Weg durch den Vorgarten hörte sie von irgendwo hinter dem Cottage ein leises Blöken. Sie fragte sich, ob Mr. Bodicote mit seinen Ziegen draußen war und sie vielleicht um das Haus herummarschieren musste, um die erforderliche Unterschrift zu bekommen. Sie fuhr nun seit zwei Jahren die Post aus und kannte eine ganze Reihe ihrer regelmäßigen Kunden. Sie klopfte an der Tür. Am Fenster bewegte sich ein Vorhang. Einen Augenblick später rasselte eine Türkette, und die Tür wurde einen winzigen Spalt geöffnet. Ein hageres, ältliches Gesicht drückte sich von innen dagegen, nicht mehr als ein Auge und ein runzliger Mundwinkel über einem bärtigen Kinn.
    »Post!«, rief Libby und fügte weniger laut hinzu:
    »Ich brauche eine Unterschrift, Mr. Bodicote.«
    »Wozu?« Die Frage wurde mit heftiger Stimme hervorgestoßen.
    »Paket mit Rückschein. Dieses hier.« Sie hielt es hoch und winkte mit dem Klemmbrett. Ein Lid sank misstrauisch über das sichtbare Auge herab, und die runzligen Lippen bewegten sich erneut.
    »Von wem ist es? Steht es drauf?« Libby seufzte und drehte das Paket um.
    »Von einer Mrs. Sutton.«
    »Ah, das ist meine Nichte, Maureen.« Die Kette wurde entriegelt und die Tür zur Gänze geöffnet. Mr. Bodicote kam zum Vorschein. Früher einmal musste er ein großer Mann gewesen sein, doch das Alter hatte ihn schrumpfen lassen. Eine Angewohnheit aus jener Zeit jedoch war geblieben: Er bückte sich unter niedrigen Türen. Er trat auch gebückt aus der Tür, obwohl es nicht nötig gewesen wäre. Er trug eine alte Jacke, die sich über zwei Wollpullovern spannte, und wie um ganz sicherzugehen, eine Tweedmütze. Trotzdem konnte die Kleidung nicht verbergen, wie dürr er war. Er streckte habgierige Klauenfinger mit spitzen gelben Nägeln nach dem Päckchen aus. Die Hexe! Mit erschreckender Plötzlichkeit kehrte ein Echo ihres früheren Tagtraums zurück. Für einen Augenblick stockte Libbys Herz. Dann lächelte sie den alten Mann dümmlich an.
    »Das wird Ihr Weihnachtsgeschenk sein.« Mr. Bodicote klang mit einem Mal liebenswürdiger.
    »Sie vergisst mich nie, nein, das tut sie nicht, meine Maureen. Sie ist ein gutes Mädchen. Und sie schickt die Weihnachtspakete jedes Jahr sehr frühzeitig los, genau wie sie es einem immer sagen.«
    »Ich wünschte, das täten alle«, sagte Libby und streckte ihm das Klemmbrett hin, während sie mit der anderen Hand weiter das Päckchen hielt.
    »Unterschreiben Sie bitte zuerst. Ja, dort. Und Ihren Namen in Druckbuchstaben darunter, bitte, ja.«
    »Ich muss zuerst meine Brille holen.« Enttäuscht wegen der Verzögerung
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