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Ein guter Blick fürs Böse

Ein guter Blick fürs Böse

Titel: Ein guter Blick fürs Böse
Autoren: Ann Granger
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in ein sehr knappes, fransenbesetztes Korsett aus smaragdgrünem Satin gekleidet, dazu trug sie helle pinkfarbene Strümpfe. Während das Pferd im Kreis herumgaloppierte, hob die Reiterin im grünen Kostüm die Arme und zeigte allerlei anmutige Posen. Schließlich krümmte sie sich in einer unglaublichen Weise, legte die Handflächen auf den Rücken des Pferdes und hob die Beine geradewegs in die Höhe, um auf den Händen stehend durch die Manege zu reiten.
    »Widerlich! Sie zeigt ja alles, was sie hat!«, empörte sich Mary Newling. Doch ihr Protest wurde von wildem Applaus, Pfeifen und Bravorufen übertönt.
    Dann war die Darbietung vorbei, und die Frau ritt bereits auf den Ausgang der Manege zu, als sie plötzlich herunterfiel und mit in die Luft gestreckten Beinen auf der Kehrseite landete. Die meisten Zuschauer hielten es für einen Teil der Darbietung, und so erhielt sie erneut Applaus.
    Als Nächstes kam der »Starke Mann«, gekleidet in ein Trikot mit Leopardendruck und scharlachrote Stiefel. Er wuchtete mühelos unglaublich schwer aussehende Hanteln.
    »Betrug!«, knurrte Mary Newling. »Da ist mit Sicherheit nur Luft drin!«
    Inzwischen applaudierte und jubelte ich mit der Menge und genoss die wundervolle Zeit. Dann spielte das Orchester erneut, und herein kamen die Clowns.
    Es waren Gestalten aus meinen Alpträumen, unförmig und grotesk gekleidet und gleichermaßen geschminkt. Sie taumelten, fielen übereinander, stolperten und bewarfen sich und das Publikum mit Kübeln voller Papierschnipsel, während sie alle möglichen Arten von Kunststückchen vorführten. Aus meinem kindlichen Blickwinkel heraus wurde mir schnell klar, dass irgendein derber Unfug in die Manege eingedrungen war. Das war keineswegs lustig, das war eine Bedrohung. Ausgerechnet dann löste sich eine dieser erschreckenden Gestalten aus der Gruppe und rannte mit blutrotem, grinsendem Mund und weit ausgestreckten Armen geradewegs auf mich zu …
    Natürlich musste ich an die frische Luft gebracht werden, und das erwies sich als gar nicht so einfach. Die Menge wollte weiter unterhalten werden und gab auch den Weg nicht frei, sodass Mary and Molly mich nach draußen hätten bringen können. Sie fluchte und pfiff, Molly möge das »Heulen der Göre« gefälligst unterbinden.
    Auf dem Heimweg schluchzte ich ohne Unterlass. Molly Darby tat es mir nach; sie ahnte wohl, dass sie für das ganze Unglück getadelt werden würde. Mary Newling war zu gleichen Teilen damit beschäftigt, mich zu trösten und Molly zu schelten und in triumphierendem Ton zu verkünden, sie hätte von Anfang an kommen sehen, dass dieser Ausflug in Tränen enden würde.
    Die Erinnerung an all diese Schrecken stürzte auf mich ein, als ich hier und jetzt den Clown anstarrte, einen armen harmlosen Kerl, der ein paar Penny zu verdienen versuchte. Bessy ergriff meinen Arm. »Keine Angst, Missus«, sagte sie laut. »Wir gehen einfach weiter und überqueren den Fluss hinter Westminster Abbey! Es ist kein großer Umweg.«
    Doch ich war mittlerweile fußlahm und vermutete, dass Bessie ebenfalls müde war. Der Gedanke an einen überflüssigen Umweg, lediglich einer absurden Angst geschuldet, ließ mich verlegen werden. Ich fühlte mich beschämt, dass ich mich vor einem Mädchen von gerade sechzehn Jahren so dumm aufführte. Ich riss mich zusammen. »Nein, Bessie«, entgegnete ich mit fester Stimme. »Wir gehen an ihm vorbei und überqueren wie geplant die Brücke. Er kann schließlich nichts dafür … Warte!« Ich griff mit der Hand in den Geldbeutel, den ich am Handgelenk trug, und nahm ein paar Münzen heraus. »Geh und wirf sie in seine Schale.«
    Bessie nahm die Münzen, die ich ihr hinhielt, und ging zügig auf den Clown zu. »Bitte sehr!«, sagte sie laut und blickte ihm direkt in das bemalte Gesicht. »Ist dir eigentlich klar, dass du mit deinem Anblick einige Leute erschreckst?« Sie ließ die Münzen klimpernd in die Holzschale zu seinen Füßen fallen.
    Der Clown gluckste und sah an Bessie vorbei in meine Richtung. Er nahm den merkwürdigen Hut von den orangefarbenen Locken und verneigte sich, während er mich aus schwarzen, glänzenden Augen fixierte. Sein Blick hatte etwas so Scharfsinniges und Wissendes, dass ich für einen Moment wie erstarrt war und nichts anderes mehr wahrnahm. Ich versuchte den Blick abzuwenden, doch es gelang mir nicht. Der Clown richtete sich wieder auf und setzte den Hut auf, ohne den Blick abzuwenden.
    »So eine Frechheit!« Bessie war wieder
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