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Xeelee 1: Das Floss

Xeelee 1: Das Floss

Titel: Xeelee 1: Das Floss
Autoren: Stephen Baxter
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    ALS DIE GIESSEREI IMPLODIERTE, wurde Rees’ Neugier auf seine Welt unerträglich.
    Der Schichtwechsel begann wie immer damit, daß Sheen, seine Schichtführerin, mit der Faust gegen die Wand seiner Kabine schlug. Schlaftrunken wälzte sich Rees aus seiner Hängematte, bewegte sich langsam durch die unaufgeräumte Kabine und quälte sich durch seine Morgentoilette.
    Unter den Mikrogravitationsbedingungen kam das Wasser nur widerwillig aus dem rostigen Hahn. Es war eine saure und trübe Flüssigkeit. Er zwang sich, einige Schlucke zu trinken und klatschte sich etwas Wasser in Gesicht und Haare. Schaudernd dachte er daran, durch wie viele menschliche Körper dieses Wasser hindurchgegangen sein mochte, seit es zum erstenmal aus einer vorbeiziehenden Wolke aufgefangen worden war; Dutzende von Schichten waren schon vergangen, seitdem der letzte Proviantbaum vom Floß mit Nachschub vorbeigekommen war, und das veraltete Recycling-System des Gürtels ließ jetzt seine Schwachstellen erkennen.
    Er zog einen fleckigen Overall an. Das Kleidungsstück begann ihm zu kurz zu werden. Nach fünfzehntausend Schichten war er ein dunkelhaariger und dünner junger Mann geworden – eigentlich schon groß genug und immer noch im Wachstum, dachte er mißmutig. Diese Beobachtung ließ ihn mit einem Anflug von Traurigkeit an seine Eltern denken; sie hätten wahrscheinlich genau diese Bemerkung gemacht. Sein Vater war kurz nach seiner Mutter gestorben, an Kreislaufproblemen und Erschöpfung. Rees stützte sich mit einer Hand an der Tür ab, betrachtete die kleine, mit Eisenwänden ausgeschlagene Kabine und dachte daran, wie vollgepfropft sie gewesen war, als er sie noch mit seinen Eltern geteilt hatte.
    Er schob diese Gedanken beiseite und drückte sich durch den engen Türrahmen.
    Er blinzelte ein paar Sekunden lang, geblendet von dem hin- und herwandernden Sternenlicht… und stutzte. Ein schwacher Geruch hing in der Luft, wie das volle Aroma von Synthofleisch. Brannte da etwas?
    Seine Kabine war mit der seines Nachbarn durch ein paar Meter ausfransender Seile und durch lange, rostige Rohre verbunden; er hangelte sich ein Stück an dem Seil entlang und hing dort, mit den Augen die Welt um sich herum nach der Quelle des stechenden Geruchs absuchend.
    Die Atmosphäre des Nebels war wie immer blutrot. Im Hinterkopf versuchte er, diese Röte zu beschreiben – war sie intensiver als bei der letzten Schicht? –, während seine Augen über die Objekte wanderten, die über und unter dem Nebel verstreut waren. Die Wolken sahen aus wie Ballen aus hellgrauem Stoff, die kilometerweit in der Luft verstreut waren. Sterne fielen zwischen den Wolken hindurch – ein langsamer, endloser Regen, der zu dem Kern hinuntertaumelte. Das Licht der kilometerbreiten Sphären warf schwankende Schatten auf die Wolken, die gefällten Bäume und die riesigen Flecken in der Luft, die wie Wale aussahen. Hier und da sah er einen kleinen Blitz, der das Ende der kurzen Existenz eines der Sterne bedeutete.
    Wie viele Sterne mochte es da geben?
    Als Kind war Rees mit großen Augen zwischen den Kabeln herumgeklettert und hatte die Grenzen seines Wissens und seiner Geduld erforscht. Jetzt vermutete er, daß es zahllose Sterne gab, mehr als er Haare auf dem Kopf… oder Gedanken im Kopf hatte, oder Wörter auf der Zunge. Er hob den Kopf und wanderte mit den Augen über einen Himmel, der voller Sterne war. Es war, als ob er in einer großen Lichtwolke hängen würde; die kugeligen Sterne wurden mit wachsender Entfernung zu Lichtpunkten, so daß der Himmel selbst ein rotgelb glühender Vorhang war.
    Der Brandgeruch, der durch die dünne Luft sickerte, zog erneut seine Aufmerksamkeit auf sich. Er klammerte seine Zehen um das Kabinenkabel, löste seine Hände, streckte sich mit der Fliehkraft des Gürtels und betrachtete von seinem neuen Aussichtspunkt aus sein Heim.
    Der Gürtel war ein Kreis von ungefähr achthundert Metern Durchmesser, eine Kette von heruntergekommenen Wohnbaracken und Arbeitsplätzen, die durch Seile und Röhren verbunden wurden. In der Mitte des Gürtels befand sich die Mine selber, ein hundert Meter breiter, ausgeglühter Sternenkern; Förderkabel baumelten von dem Gürtel herunter zu der Oberfläche des Sternenkerns und kratzten mit einer Geschwindigkeit von einigen Metern pro Sekunde an der rostigen Kugel.
    Hier und da gab es massive Röhrenöffnungen aus weißem Metall, die an den Wänden und Dächern des Gürtels angebracht waren; alle paar Minuten
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