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Ein guter Blick fürs Böse

Ein guter Blick fürs Böse

Titel: Ein guter Blick fürs Böse
Autoren: Ann Granger
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sich geschlagen zu geben, und ich hoffte, meinerseits genauso zuversichtlich zu wirken.
    Biddle kam zurück. Er hielt die Tasche in den Armen wie ein Baby, trug sie zum Tisch und stellte sie behutsam darauf ab.
    »Nun, worauf warten Sie, Junge?«, grollte Morris. »Machen Sie die Tasche auf!«
    »Jawohl, Sir!« Biddle errötete und zog an der Schnur. Er kippte die Tasche behutsam aus, und das alte Schloss rutschte auf den Schreibtisch. Es war ein meisterhaftes Stück Schlosserarbeit, und es hätte mich nicht gewundert, wenn es schon beim Bau des Jameson’schen Hauses vor mehr als siebzig Jahren in die Tür gesetzt worden war. Kein Ganove mit der Absicht, in das Haus der Witwe einzudringen, hätte dieses Schloss ohne den passenden Schlüssel überwinden können – genau wie der Schlosser es gesagt hatte. Ohne Schlüssel wäre dem Einbrecher nichts anderes übrig geblieben, als ein Fenster einzuschlagen. Oder darauf zu vertrauen, dass eine sorglose Magd die Hintertür nicht absperrte.
    »Da ist es also«, sagte ich. »Und hier haben wir auch Mrs. Jamesons Schlüssel dazu.« Ich nahm ihn heraus und legte ihn neben Tapleys Schlüssel. »Ja, sie sehen vollkommen identisch aus, wenn Sie mich fragen. Aber wir sollten ganz sicher sein. Wir werden den Schlüssel aus Ihrer Tasche im Schloss ausprobieren. Wollen Sie es tun, Mr. Tapley, oder soll ich?«
    Tapley war so still und starr wie eine Statue – und genauso schweigsam. Ich lächelte, nahm den Schlüssel, der ihm aus der Tasche gefallen war, und steckte ihn in das Schlüsselloch des alten Schlosses. Er ließ sich ohne Mühe drehen, und mit einem leisen Klicken sprang der Riegel hervor. Ich drehte den Schlüssel in die andere Richtung, und der Riegel schob sich leise zurück. Tapley sagte kein Wort, doch seine Augen waren voller Wut, als er auf das kleine Objekt starrte, das ihn an den Galgen bringen würde.
    »Sie haben mich vorhin aufgefordert, Sie zu verhaften, Sir«, sagte ich. »Ich denke, ich werde Ihre Einladung jetzt annehmen und genau das tun. Mr. Jonathan Tapley, ich verhafte Sie hiermit wegen des dringenden Verdachts der Ermordung Ihres Cousins Thomas Tapley.«    
    Es ist eine rechte Leistung, Lizzie dazu zu bringen, dass sie schweigend zuhört, doch sie sagte nicht ein Wort, während ich ihr später die ganze Geschichte erzählte. Sie wagte kaum zu atmen.
    »Jonathan beißt sich vor Wut bestimmt in den Hintern«, schloss ich. »Während er in der Zelle sitzt und darüber nachdenkt, wie unnötig all das war. Er hätte den Schlüssel in die Themse werfen sollen, als er feststellte, dass er ihm nichts mehr nützte. Ich frage mich, ob er dem gleichen merkwürdigen Instinkt nachgab, den so viele von uns haben, die alte Schlüssel sammeln. Wie dem auch sei, Strafrecht ist nicht sein Spezialgebiet, und er hat nie gelernt, wie ein Krimineller zu denken und Beweise sorgfältig zu beseitigen. Was nicht zuletzt wohl daher rührt, dass er nicht im Traum gedacht hat, er könnte eines Tages selbst einmal ein Verdächtiger sein. Schlimmer noch als sein Versäumnis, den Schlüssel zu beseitigen, ist die gallige Erkenntnis, dass Hector Mas einige Tage später zu seinem Cousin gegangen wäre und die niederträchtige Tat ausgeführt hätte. Er hätte überhaupt nichts tun müssen! Mas hätte die ganze Drecksarbeit erledigt.«
    Lizzie stieß einen tiefen Seufzer aus. »Die arme Flora«, sagte sie. »Zuerst verliert sie ihren Vater durch einen grausigen Mord. Und nun sieht es so aus, als würde der Mann, der sie aufgezogen und den sie als Ersatzvater betrachtet hat, wegen ebendiesem Mord am Galgen enden. Stell dir vor, zu wissen, dass er ihren Vater umgebracht hat … und schlimmer noch, dass ihr eigenes Verhalten, ihr heimlicher Besuch bei ihrem Vater, letztendlich zu der fatalen Konfrontation geführt hat.«
    »Wenn in derartigen Dingen die Wahrheit ans Licht kommt, leiden immer alle«, sagte ich zu ihr. »Die Unschuldigen genauso wie die Schuldigen. Denk nur an Maria Tapley. Sie mag keine liebenswerte Frau sein, aber auch sie wird leiden. Der Ruf ihrer Familie, der ihr so viel bedeutet, ist vollkommen zerstört.«
    »Was ist mit Victorine und diesem elenden Mann, diesem Hector Mas?«, fragte Lizzie.
    »Oh, die beiden werden angeklagt wegen des Mordes an Horatio Jenkins und der versuchten Entführung von Flora Tapley. Victorine wird ihr Bestes versuchen, sich aus allem herauszuwinden. Sie wird abstreiten, etwas von Mas’ Plänen gewusst zu haben. Aber sie hat ihn
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