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Ein guter Blick fürs Böse

Ein guter Blick fürs Böse

Titel: Ein guter Blick fürs Böse
Autoren: Ann Granger
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Kutscher, Stillschweigen zu bewahren. Doch Sie sind sein Arbeitgeber. Er ist von Ihnen abhängig. Ich denke, er hat es Ihnen gesagt. Sie stellten Ihre Frau zur Rede, und sie gab es zu.
    Im Gegensatz zu Ihrer Frau gingen Sie nicht davon aus, dass Flora ein romantisches Stelldichein mit irgendeinem ungeeigneten jungen Mann hatte. Sie dachten sich gleich – und sie dachten richtig –, dass es ihr Vater war, den sie besucht hatte. Sie waren wütend und alarmiert. Thomas hatte sein Wort gebrochen, das er Ihnen gegeben hatte, und war nach England gekommen. So viel wussten Sie bereits vorher, weil Fred Thorpe es Ihnen gesagt hatte. Sie hatten gehofft, Ihr Cousin wäre nur kurz in England gewesen und wieder nach Frankreich zurückgekehrt. Und jetzt hatten Sie herausgefunden, dass er in London lebte und dass er, schlimmer noch, von Ihrem Standpunkt aus betrachtet, mit seiner Tochter Kontakt aufgenommen hatte. Das hatte zu einer möglicherweise skandalösen Eskapade geführt, in deren Verlauf Flora sich als Junge verkleidet in die Öffentlichkeit begeben hatte. Sie und Ihre Frau hatten die größten Hoffnungen, das Flora ihren jungen Verehrer aus den besten Kreisen heiraten würde, doch jetzt drohte gefährliches Gerede. Ich glaube, die adlige Familie, in welche Sie Flora verheiraten wollten, hätte die Nachricht von einer zukünftigen Schwiegertochter, die in Männersachen durch London fährt, alles andere als positiv aufgenommen. Und die Möglichkeit, dass Thomas wie Banquo’s Geist bei den Hochzeitsfeierlichkeiten auftauchte … nein. Sie mussten etwas unternehmen.
    Sobald Sie erfuhren, was Flora getan hatte, ließen Sie sich von Ihrem Kutscher zu der Stelle fahren, wo er Flora abgesetzt hatte. Es dauerte nicht lange, bis Sie durch Herumfragen herausgefunden hatten, wo Ihr Cousin wohnte. Sie unternahmen noch nichts – je weniger Ihr Kutscher Joliffe sah oder hörte, desto besser. Sie ließen sich von ihm wieder nach Hause zum Bryanston Square fahren. Während Sie immer noch überlegten, was zu tun war, vertagte sich ein paar Tage später unerwartet das Gericht am frühen Nachmittag, und sie ergriffen die Gelegenheit. Sie begaben sich zu dem Haus, in dem ihr Cousin wohnte, um ihn zur Rede zu stellen. Vielleicht wollten Sie lediglich erreichen, dass er eine formelle schriftliche Zustimmung zur Hochzeit gab und anschließend unverzüglich nach Frankreich zurückkehrte, um danach nie wieder mit seiner Tochter in Verbindung zu treten. Sie konnten und durften nicht dulden, dass Thomas alles ruinierte.«
    Ich legte ihm dar, wie die Situation meiner Meinung nach letzten Endes zum Mord geführt hatte, und verstummte.
    »Selbst wenn ich all das getan hätte, Inspector, und ich gestehe nichts dergleichen, ist es ein weiter Schritt von ›jemanden zur Rede stellen‹ bis zu ›ihn kaltblütig ermorden‹«, erinnerte mich Tapley. Er hatte aufmerksam gelauscht, während ich meinen Fall dargelegt hatte, genau so, wie er einem Gegner vor Gericht zugehört hätte.
    Ich war noch nicht fertig, doch ich musste langsam und vorsichtig sein, weil es jetzt nicht mehr um das ging, was Jonathan gefühlt haben musste, sondern um das, was er getan hatte.
    »Sie schlichen sich heimlich in das Haus. Sie läuteten nicht an der Haustür, weil Sie nicht wollten, dass man Sie sieht und sich später an Sie erinnert. Es durfte keinerlei Verbindung zum Bryanston Square entstehen! Sie schlüpften in Abwesenheit der einzigen Dienstmagd durch die Küchentür, schlichen die Hintertreppe hinauf, fanden das Zimmer, öffneten leise die Tür … dort saß Ihr Cousin friedlich in seinem Sessel und las. Der Anblick erfüllte sie mit Zorn. Dort saß der Mann, der sein Wort gebrochen hatte und so viele Scherereien verursachte, als könnte er kein Wässerchen trüben. Sie waren außer sich vor Wut. Sie hoben Ihren Gehstock – diesen Stock dort! – und schlugen ihm mit dem Knauf über den Kopf. Er kippte aus dem Sessel und auf den Boden. Sie schlugen ein zweites Mal zu, um sicher zu sein, dass er tot war. Sie konnten nicht riskieren, dass er überlebte oder lange genug bei Bewusstsein blieb, um seinen Angreifer zu identifizieren.«
    Tapley lehnte den Gehstock gegen das Knie und legte die Fingerspitzen zusammen. »Sie sind ein Genie, Inspector. Das muss man Ihnen lassen, Sie sind ein richtiges Genie. Aber Sie machen mich neugierig. Wie konnte ich wissen – wohlgemerkt, ich frage, ohne etwas zuzugeben! –, in welchem Zimmer sich mein Cousin
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