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Ein guter Blick fürs Böse

Ein guter Blick fürs Böse

Titel: Ein guter Blick fürs Böse
Autoren: Ann Granger
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aufhielt?«
    »Sie hatten ein wenig Glück. Als sie vor dem Haus standen und nach oben sahen – die Zeugin hat Sie dabei beobachtet –, müssen Sie ihn durch ein Fenster im ersten Stock gesehen haben.«
    »Tatsächlich? Ich muss Sie erneut bitten, Inspector, Ihre Zeugin zu benennen. Woher sollte ich sonst wissen, ob eine solche Person überhaupt existiert?«
    »Die Besitzerin des Hauses hat Sie gesehen, durch das Fenster ihres Salons.«
    »Die Besitzerin des Hauses?« Er sah mich perplex an. »Sie meinen die ältliche Quäker-Lady, die bei der Beerdigung war?«
    »Genau die, Sir.«
    Ärger schlich sich in seine Stimme. »Aber sie kannte mich doch gar nicht! Ich war nur ein Fremder auf der Straße. Woher um alles in der Welt will sie wissen, dass ich das war?«
    »Sie hat Sie während der kurzen Zugfahrt wiedererkannt, am Tag der Beerdigung, als wir von der Kirche zum Friedhof fuhren, Sir. Sie hatte Gelegenheit, Sie genau zu studieren, und sie ist sich völlig sicher.«
    »Das war eine ganze Weile, nachdem mein Cousin gestorben war!«, wandte er ein. »Sie konnte unmöglich sicher sein, dass ich die gleiche Person bin, die sie – wie sie selbst zugibt – nur flüchtig und durch ein Fenster hindurch viele Tage zuvor gesehen hatte. Gütiger Himmel, Inspector, Sie sind doch wirklich lange genug Ermittlungsbeamter, um zu wissen, dass sogar Zeugen ein und desselben Zwischenfalls völlig verschiedene Schilderungen abliefern! Der eine beschreibt eine Person als groß, der nächste beschreibt die gleiche Person als klein. Einer schwört, einen Gehstock gesehen zu haben …«, er deutete auf seinen Stock, »… ein anderer ist überzeugt, es hätte sich um einen Schirm gehandelt! Sie können unmöglich alle Recht haben und sich nicht irren! Wie können Sie auf der anderen Seite, mit einer einzigen Zeugin, wie können Sie sich so sicher sein, Inspector, dass sie sich nicht irrt? Die Lady ist in fortgeschrittenem Alter, wenn ich mich recht entsinne. Sie ist eine religiöse Person, die zweifellos viel Zeit damit verbringt, in der Bibel zu lesen. Ich bezweifle, dass ihr Augenlicht noch erstklassig ist. Wahrscheinlich benötigt sie eine Brille zum Lesen!«
    »Nein, Sir, tut sie nicht. Ich habe sie gefragt.« Ich lächelte ihn an.
    Natürlich hatte er Recht. Mrs. Jamesons zweifelsfreie Versicherung, sie hätte Jonathan Tapley vor ihrem Haus gesehen, konnte von jedem geschickten Strafverteidiger mit Leichtigkeit entkräftet werden. Doch ich wusste, dass sie Recht hatte. Jonathan war dort gewesen, und jetzt wusste er, dass er gesehen worden war. Die Frustration traf mich wie ein physischer Schlag in den Magen. Ich brauchte mehr, um ihn zu überführen. Aber was?
    Tapley ergriff seinen Gehstock und erhob sich majestätisch von seinem Stuhl. »Inspector Ross, ich habe mit größtmöglicher Geduld hier gesessen und mir diese wirre Geschichte angehört. Ihre beiden Hauptzeugen, der Pathologe und die Hausbesitzerin, würden in einem Kreuzverhör keine fünf Minuten überstehen. Genauso wenig wie die Aussage eines Kutschers – sollten Sie einen finden! –, der behauptet, mich an jenem Tag zur fraglichen Zeit zum fraglichen Ort befördert zu haben, vor Gericht Bestand haben würde. Wie Sie selbst bereits festgestellt haben, ich wäre ein Fahrgast unter vielen gewesen. Und selbst wenn wir annehmen – ich betone, rein hypothetisch! –, ich würde einräumen, an jenem Tag das Gerichtsgebäude früher verlassen zu haben. Angenommen, ich würde einräumen, mich zu dem fraglichen Haus begeben zu haben, unschlüssig, ob ich hineingehen und meinen Cousin zur Rede stellen soll oder nicht. Und nehmen wir an, ich würde behaupten, meine Meinung geändert zu haben und wieder gegangen zu sein, ohne mit ihm gesprochen zu haben. Was dann, Ross? Sie können nicht beweisen, dass ich in diesem Haus war, in diesem Zimmer, bei meinem Cousin. Wenn Sie sonst nichts zu sagen haben, Inspector, dann werde ich jetzt gehen, es sei denn, Sie wollen mich verhaften, oder vielleicht haben Sie ganz den Verstand verloren und wollen Anklage erheben? Falls nicht, gehe ich jetzt.«
    Er stand vor mir, die gleiche schicke Gestalt, die vor nicht allzu langer Zeit in mein Büro gekommen war und gesagt hatte, dass sie glaubte, das Opfer identifizieren zu können. Ich erinnerte mich, wie er in der Leichenhalle gestanden und ohne jede Spur von Emotionen auf seinen toten Cousin hinuntergestarrt hatte. Hier stand er nun, der gleiche elegante Mann in seinem teuren
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