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Der Sturz - Erzählungen

Der Sturz - Erzählungen

Titel: Der Sturz - Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Dürrenmatt
    Der Sturz
    Abu Chanifa und
    Anan ben David
    Smithy
    Das Sterben der Pythia
    Erzählungen
    Diogenes

    { PAGE }

    Friedrich Dürrenmatt
    Werkausgabe
    in dreißig Bänden
    Herausgegeben
    in Zusammenarbeit
    mit dem Autor
    Band 23

    Friedrich Dürrenmatt

    Der Sturz
    Abu Chanifa
    und
    Anan ben David
    Smithy
    Das Sterben
    der Pythia

    Erzählungen

    Non-profit ebook by tigger
    Oktober 2003
    Kein Verkauf!

    Diogenes

    Umschlag: Detail aus ›Turmbau I‹ von Friedrich Dürrenmatt.
    Der Sturz erschien erstmals 1971 im Verlag der Arche, Zürich.
    Abu Chanifa und Anan ben David erschien erstmals 1976 als Bestandteil von Zusammenhänge. Essay über Israel. Eine Konzeption im Verlag der Arche, Zürich.
    Die vorliegende bearbeitete Fassung von 1978 erschien erstmals 1978 im ›Friedrich Dürrenmatt Lesebuch‹ im Verlag der Arche, Zürich.
    Smithy und Das Sterben der Pythia erschienen erstmals 1976 als Bestandteile des
    ›Nachworts zum Nachwort‹ in ›Der Mitmacher. Ein Komplex‹ im Verlag der Arche, Zürich. Die Texte wurden für diese Ausgabe durchgesehen und korrigiert. Redaktion: Thomas Bodmer.
    Alle Rechte vorbehalten
    Copyright © 1985 Diogenes Verlag AG Zürich 20/95/8/8
    ISBN 3 257 20854 5

    Inhalt

    Der Sturz
    6
    Abu Chanifa und Anan ben David
    54
    Smithy
    72
    Das Sterben der Pythia
    96

    Der Sturz
    1971

    An Fred Schertenleib

    A

    B
    E
    D
    G
    F
    I
    H
    L
    K
    N
    M
    P
    O
    C

    Nach dem kalten Büffet mit gefüllten Eiern, Schinken, Toast, Kaviar, Schnaps und Champagner, welches im Festsaal das Politische Sekretariat vor der Beratung einzunehmen pflegte, erschien N im Sitzungszimmer als erster. Er fühlte sich seit seiner Aufnahme ins oberste Gremium nur in diesem Räume sicher, obwohl er bloß Postminister war und die Briefmarken zur Friedenskonferenz A gefallen hatten, wie er gerüchtweise vom Kreise um D und genauer von E wußte; aber seine Vorgänger waren trotz der doch eher untergeordneten Stellung der Post innerhalb der Staatsmaschinerie verschollen, und wenn auch der Boss der Geheimpolizei C mit ihm liebenswürdig umging, ratsam war es nicht, nach den Verschwundenen zu forschen. Vor Betreten des Festsaals und vor Betreten des Sitzungszimmers war N schon abgetastet worden, das erste Mal durch den sportlichen Oberstleutnant, der das immer tat, das zweite Mal durch einen blonden Oberst, den N noch nie gesehen hatte; der Oberst, der ihn sonst vor dem Sitzungszimmer abtastete, war kahl, mußte im Urlaub sein, oder war versetzt, oder entlassen, oder degradiert, oder erschossen worden. N legte die Aktentasche auf den Versammlungstisch und nahm Platz. L setzte sich neben ihn. Das Sitzungszimmer war lang und nicht viel breiter als der Versammlungstisch. Die Wände waren halbhoch braun getäfelt. Der ungetäfelte Teil der Wände und die Decke waren weiß. Die Sitzordnung war nach der Hierarchie des Systems geregelt. A saß oben. Über ihm, am weißen Teil der Wand, hing die Parteifahne. Ihm gegenüber blieb das andere Tischende leer, und dahinter war das einzige Fenster des Sitzungszimmers. Das Fenster war hoch, oben gewölbt, in fünf Scheiben eingeteilt und hatte keine Vorhänge.
    B D F H K M saßen (von A aus gesehen) an der rechten Tisch-seite und ihnen gegenüber C E GI L N, neben N saß noch der Chef der Jugendgruppen P und neben M der Atomminister O, doch waren P und O nicht stimmberechtigt. L war der Älteste des Gremiums und hatte, bevor A die Partei und den Staat 8

    übernahm, einmal die Funktion ausgeübt, die D jetzt ausübte. L
    war Schmied gewesen, bevor er Revolutionär wurde. Er war groß und breitschultrig, ohne Fett angesetzt zu haben. Sein Gesicht und seine Hände waren derb, seine grauen Haare waren noch dicht und kurz geschnitten. Er war immer unra-siert. Sein dunkler Anzug glich dem Sonntagskleid eines Arbeiters. Er trug nie eine Krawatte. Der Kragen seines weißen Hemdes war stets zugeknöpft. L war in der Partei und beim Volk populär, um seine Taten während des Juni-Aufstandes hatten sich Legenden gebildet; doch lag diese Zeit so weit zurück, daß ihn A ›das Denkmal‹ nannte. L galt als gerecht und war ein Held, und so war sein Abstieg nicht ein spektakulärer Untergang, sondern ein Immer-Tiefer-Sinken innerhalb der Hierarchie. Die Furcht vor einer Anklage unterhöhlte L. Er wußte, daß sein Sturz einmal kommen mußte. Wie die beiden Marschälle H und K war er oft betrunken, sogar zu den Sitzun-gen des Sekretariats erschien er nicht mehr nüchtern. Auch jetzt stank er nach

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