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Der Sturz - Erzählungen

Der Sturz - Erzählungen

Titel: Der Sturz - Erzählungen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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weltmännisch, elegant. Er trug einen englischen Anzug mit locker gebüscheltem Kavalierstuch und rauchte eine amerikanische Zigarette. Der Außenhandelsminister war wie N unge-wollt Mitglied des Politischen Sekretariats geworden, der Machtkampf innerhalb der Partei hatte auch ihn automatisch dem Führungsgremium entgegengeschoben, andere, die ehr-geiziger gewesen waren als er, waren dem Ringen um die vordersten Plätze und somit sich selber zum Opfer gefallen, und so überstand E als Fachmann jede Säuberung, was ihm von selten A’s den Spitznamen ›Lord Evergreen‹ eintrug. War N
    unfreiwillig der dreizehntmächtigste, war E ebenso unfreiwillig schon der fünftmächtigste Mann des Imperiums. Einen Rückweg gab es nicht. Ein falsches Verhalten, eine unvorsichtige Äußerung konnten das Ende bedeuten, Verhaftung, Verhöre, Tod, weshalb sich E und N mit jedem gutstellen mußten, der mächtiger war als sie oder ebenso mächtig werden konnte. Sie hatten klug zu sein, die Gelegenheiten wahrzunehmen, sich im Notfall zu ducken und die menschlichen Schwächen der andern auszunutzen. Sie waren zu vielem gezwungen, das unwürdig und lächerlich war.

    Natürlicherweise. Die dreizehn Männer des Politischen Sekretariats verfügten über eine ungeheuerliche Macht. Sie bestimmten das Geschick des Riesenreiches, schickten Unzählige in die Verbannung, in den Kerker und in den Tod, griffen in das Leben von Millionen ein, stampften Industrien aus dem Boden, verschoben Familien und Völker, ließen gewaltige Städte erstehen, stellten unermeßliche Heere auf, entschieden über Krieg und Frieden, doch, da ihr Erhaltungstrieb sie zwang, einander zu belauern, beeinflußten die Sympathien und Antipa-thien, die sie füreinander empfanden, ihre Entscheidungen weit mehr als die politischen Konflikte und die wirtschaftlichen Sachverhalte, denen sie gegenüberstanden. Die Macht, und 14

    damit die Furcht voreinander – war zu groß, um reine Politik zu treiben. Die Vernunft kam dagegen nicht an.

    Von den fehlenden Mitgliedern traten die beiden Marschälle ein, der Verteidigungsminister H und der Staatspräsident K, beide aufgeschwemmt, beide käsig, beide steif, beide mit Orden bekleistert, beide alt und schweißig, beide nach Tabak, Schnaps und Dunhill-Parfum stinkend, zwei mit Fett, Fleisch, Harn und Furcht prall gestopfte Säcke. Sie setzten sich gleichzeitig nebeneinander, ohne jemanden zu grüßen. H und K
    traten stets zu zweit auf. A, auf das Lieblingsgetränk der beiden anspielend, nannte sie die ›Gin-gis-Khane‹. Marschall K, der Staatspräsident und Held des Bürgerkrieges, duselte vor sich hin; Marschall H, ein militärischer Nichtskönner, der sich nur durch seine parteipolitische Strammheit zum Marschall durch-gemausert hatte, indem er einen seiner Vorgänger um den ändern dem sich gutgläubig stellenden A als Hochverräter ans Messer lieferte, raffte sich noch einmal auf, bevor er vor sich hinglotzte, schrie: »Nieder mit den Feinden im Schoße der Partei!« und gab damit zu, daß auch ihm die Verhaftung O’s bekannt war. Doch beachtete ihn keiner. Man war es gewohnt, die Furcht preßte Phrasen aus ihm. In jeder Zusammenkunft des Politischen Sekretariats sah er seinen Sturz kommen, erging er sich in Selbstanklagen und griff wild jemanden an, ohne je zu präzisieren, wen er damit meinte.

    N starrte den Verteidigungsminister H an, auf dessen Stirne der Schweiß glitzerte, und fühlte, wie auch seine Stirne feucht zu werden begann. Er dachte an den Bordeaux, den er F schenken wollte, aber noch nicht schenken konnte, weil er ihn noch nicht besaß. Es hatte damit angefangen, daß der Parteichef D gerne Bordeaux trank und daß N vor drei Wochen anläßlich der internationalen Tagung der Postminister in Paris einige Wein-lieferungen organisieren konnte; der Pariser Kollege mochte 15

    den einheimischen Schnaps, den ihm dafür N zukommen ließ.
    Nicht, daß N der einzige gewesen wäre, der den mächtigen D
    mit Bordeaux versorgte. Auch der Außenminister B tat es.
    Aber N’s Gefälligkeit hatte doch zur Folge, daß er von B nun ebenfalls Bordeaux geschenkt bekam, aus dem einfachen Grunde, weil N, um nicht berechnend zu erscheinen, sich ebenfalls als Bordeaux-Liebhaber ausgab, obschon er sich aus Wein nichts machte. Als N jedoch entdeckte, daß der große nationale Schnapstrinker F, der Beherrscher der Schwerindustrie, den A den ›Schuhputzer‹ getauft hatte, auf Anraten seiner Ärzte, weil er Diabetiker war, heimlich nur
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