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F44.3 - In den Augen das Blut

F44.3 - In den Augen das Blut

Titel: F44.3 - In den Augen das Blut
Autoren: Christian Sidjani
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F44.3
    In den Augen das Blut
     
    Sonntag Nacht – Badezimmer
    Luka hatte keine Angst im Dunkeln. Wenn er des nachts erwachte und seine Blase drückte, dann reichte ihm das Mondlicht. Er stieg aus dem Bett, schlaftrunken, der Traum einer wundersamen Reise hallte noch nach, und ging zu seiner Zimmertür. Er war stets ordentlich, dass nichts auf dem Boden liegen blieb, bevor er schlafen ging, und so stolperte er nicht, sondern folgte seinem Weg, den er so gut kannte. Er öffnete die Tür und eine schwärzere Dunkelheit lag vor ihm. Der Flur, in den das Mondlicht keinen Zugang fand. Er tastete sich an der Wand entlang, an der Schlafzimmertür seiner Eltern vorbei, und erreichte den Ort, der ihm Erlösung versprach.
    Das Badezimmer.
    Da er die Abstände zwischen Tür und Waschbecken, und zwischen Badewanne und Toilette genau kannte, machte er auch hier kein Licht. Ja, die Dunkelheit schien das angenehme Gefühl seines Traumes zu konservieren und wenn er jetzt den Lichtschalter betätigte, würde alles im nüchternen Weiß des Zimmers untergehen. Er schlich sich zur Kloschüssel, hob den Deckel an, zog sich die Pyjama-Hose herunter und setzte sich auf die Brille. Für seinen zehn Jahre alten Hintern war das alles noch viel zu groß und er hielt sich an den Seiten fest, damit er nicht hinein rutschte.
    Normalerweise hätte er gesummt. Das machte er meistens, wenn er auf Toilette war, aber er wollte Mama und Papa nicht wecken. Bestimmt wäre es sehr leise, aber er horchte nun in eine nächtliche Stille, die genauso wenig durchbrochen werden durfte wie die Dunkelheit.
    Und dann war er da.
    Luka wusste, dass er wieder da war. Er kam immer häufiger zu ihm und er wartete auf ihn im Badezimmer. So wie in dieser Nacht.
    Der Vorhang für die Badewanne war zugezogen und seine Weiße hob sich dunkelgrau von der Schwärze der Nacht ab. Luka brauchte ihn nicht zurückziehen, um zu wissen, dass er dahinter war. Von seiner Position aus kam er sowieso nicht daran.
    Er war so still wie die Umgebung. Nur das einsame Tropfen von Luka war zu hören und trotzdem füllte er all die Gedanken des kleinen Jungen aus. Wie er dort in der Badewanne kauerte, nackt und dürr, der Körper in einer hockenden, lauernden Position, der Schädel kahl, die Finger lang und spitz, beinahe wie Krallen, geschlechtslos war er und ohne Geruch. Und Luka meinte, das Grinsen zu hören. So stark strahlte es. Doch er hatte keine Angst. Sie waren Freunde, hatte er gesagt. Und Luka glaubte ihm.
    Als der Junge fertig war, hob er sich von der Schüssel und spülte nur kurz, damit das Geräusch nicht allzu lang andauerte. Während leise surrend das Wasser in die Spülung kleckerte, wusch er sich die Hände. Darauf achtete er immer sehr. Sein kahler, nackter Freund war noch immer in der Badewanne, als Luka den Flur zurück in sein Zimmer schlich, aber er wusste, wenn er ganz brav in sein Bett zurück kroch, sich die Decke bis zum Kinn hoch zog und bald wieder einschlummerte, dann würde er sich zu ihm legen. Bei ihm fühlte sich Luka so sicher wie zuletzt im Bett seiner Eltern. Dafür war er zu alt und er hatte jetzt jemanden bei sich in jeder Nacht. Er wollte ihn morgen unbedingt und endlich nach seinem Namen fragen. Vielleicht durfte er sich einen für ihn aussuchen.
    Als die Tür sich zu seinem Zimmer weiter öffnete und die Bettdecke angehoben wurde, schlief Luka schon tief und fest.
     
    Montag Morgen – Küche
    Susanne hatte morgens nie viel Zeit. Jedenfalls kam es ihr so vor, obwohl ihr Wecker stets drei Stunden klingelte, bevor sie los musste. Sie weckte jeden Morgen erst Jan, dem es schwerfiel, aus dem Bett zu kommen. Er taumelte ins Badezimmer, pinkeln, rasieren, sich frisch machen und anziehen. Duschen tat er erst abends. Dann kam er hinunter, nahm dankbar den Kaffee entgegen, den Susanne schon längst gekocht hatte, und nicht viel später, ohne etwas gegessen zu haben, verschwand er aus der Wohnung, um in sein Büro zu fahren. Dieser Zeitpunkt war stets das Stichwort, um Luka zu wecken, sieben Uhr nun und nicht mehr viel Zeit für sein Frühstück, für die Brotdose, für alles.
    Doch an diesem Morgen war es anders. Kaum war Susanne von der Wohnungstür in die Küche zurückgekehrt, sah sie ihren Sohn am Geschirrspüler stehen, dessen Lade offen stand. Luka trug noch seinen Pyjama, den mit den Automotiven, und er beugte sich in den Bauch der Maschine.
    „Was machst du, Luka?“, fragte sie und dachte, dass sie das Guten Morgen, mein Schatz vergessen hatte,
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