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F44.3 - In den Augen das Blut

F44.3 - In den Augen das Blut

Titel: F44.3 - In den Augen das Blut
Autoren: Christian Sidjani
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kritzelte, wusste er nicht, aber er wusste eine Antwort.
    Ja, er hatte Lust zu spielen.
    Dafür brauchte er nur zu nicken, das würde sein Freund schon erkennen. Es war ihm auch gleich, was sie spielen würden, Hauptsache er entkam der Langeweile und Frau Bachs monotoner Stimme.
    Dann begann eine Veränderung, die ihn zugleich mit Staunen und Schrecken füllte. Er saß weiterhin auf seinem Stuhl im Klassenzimmer, aber sein Körper fühlte sich plötzlich so leicht an oder als würde ein Teil sich von ihm lösen und entkommen wollen. Er war nur noch eine Gestalt in seinem eigenen Körper und dann spürte er die andere Gestalt, seinen Freund, der sich über die Brust in seine Arme und Beine ausbreitete und dessen Energie schließlich ihren Weg in Lukas Kopf fand.
    So leicht, wie er sich eben empfunden hatte, so ausgefüllt fühlte er sich nun, sein Körper eine Hülle für Zwei. Und er meinte, seine Stimme zu vernehmen, wie er ihn grüßte und sich für die Einladung bedankte. Luka spürte sein Blut in den Adern an der Stirn pulsieren und es kam ihm vor, als ob es sich über sein Gesicht verteilte.
    Noch immer sah er Frau Bach und den Klassenraum und seine Mitschüler ganz deutlich, aber alles färbte sich nun in ein leichtes Rot, das mit der Zeit immer dunkler wurde. Lukas Ohren waren betäubt, dass Frau Bachs Stimme wie durch dicke Watte zu ihm drang. Die Welt um ihn wurde roter, dunkler, bis er das Gefühl hatte, seine Augen waren voll von seinem Blut. Aber es war nur ein Spiel, dachte er. Sein Freund wusste, was er tat.
    Als Frau Bach sich zur Tafel drehte, um irgendwelche Daten in ihrer unleserlichen Schrift für alle sichtbar zu machen, stand Luka auf. Doch er war es gar nicht. Sein Körper bewegte sich von allein und seine Welt war nach wie vor blutrot. Wie die Frage, die von der Tafel verschwunden war. Stattdessen stand dort jetzt 333 – Bei Iss ... so weit war Frau Bach gekommen, bis Luka sie erreicht hatte.
    Sie bemerkte ihn nicht, war während des Schreibens in einen ihrer Monologe vertieft. Dann hoben sich Lukas Arme, er holte aus und schubste Frau Bach nach vorn. Als ihr Kopf gegen die Tafel donnerte, war es nur ein dumpfes Geräusch in seinen Ohren, aber es musste ihr weh getan haben. Denn sie schrie auf und als sie auf dem Boden lag, sah er das Blut auf ihrer Stirn. Dunkler noch als sein Blick. Er fragte sich, woher er denn diese Kraft hatte, als ihn eine Hand an seiner Schulter berührte. Auch das fühlte sich gedämpft an, die Schwere war nur ein leichter Druck.
    „Warum hast du das gemacht, Luka?“, schrie ihn eine bekannte Stimme an. Er drehte sich herum – sein Körper!, nicht er – und starrte in das erboste Gesicht von Chrissie, die nun mehr wie eine Erwachsene aussah, weil ihr jede Leichtigkeit fehlte. Er hatte etwas Schlimmes getan, etwas Unwiderrufliches, das wusste er, und Frau Bach stöhnte vom Boden aus.
    Luka wollte sich entschuldigen und sagen, es war sein Freund gewesen, den er jetzt nicht mehr mochte. Da packte seine rechte Hand Chrissie an den Haaren und zog ihren Kopf nach hinten. Nachdem er ihr mit der Faust in den Bauch geschlagen hatte, sie sich vor ihm nun krümmte, lachte er auf und trat mit seinem rechten Knie in ihr Gesicht, dass sie ebenfalls blutend zu Boden ging. Dann schaute er sich in der Klasse um und starrte in die entsetzten Gesichter seiner Mitschüler. Luka begriff nicht, was er soeben getan hatte. Doch er konnte nichts dagegen tun.
    Ein Geräusch bahnte sich seine Kehle hinauf, bis er laut und schrill zu lachen begann. Es klang nicht nach ihm. Seine kindliche Stimme war durch ein tiefes, grölendes Etwas ersetzt worden und das machte ihm Angst. Er bat seinen Freund aufzuhören, aber er reagierte nicht.
    Die Hände seiner Lehrerin packten ihn, wirbelten ihn herum und während sie ihn anschrie, entfärbte sich sein Blick, bis alles seine normale Farbe wieder hatte.
    Dann weinte er.
     
    Montag Abend – Wohnzimmer
    Wie viel sich ändern konnte innerhalb von nur einem Tag, dachte Susanne. Heute Morgen hatte sie sich geschworen, ihrem Mann nichts zu erzählen. Jan reagierte mit einem unangemessenen Spott auf Lukas apathisches Starren. Ja, er hatte ihn sogar einmal als Freak bezeichnet.
    „Wir haben einen kleinen Spinner herangezogen“, hatte er gesagt und in Susannes Hals saß ein Kloß, der sie davon abhielt, ihn anzuschreien. Nur ein Mal hatte sie ihn verbittert gefragt, wie er so über ihren gemeinsamen Sohn sprechen konnte, und er hatte gelacht und beteuert,
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