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F44.3 - In den Augen das Blut

F44.3 - In den Augen das Blut

Titel: F44.3 - In den Augen das Blut
Autoren: Christian Sidjani
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auch er war als Junge bestimmt nicht einfach gewesen.
    Jan nahm es nicht ernst, fand sie. Die ganze Sache nicht, die vielleicht vor gut zwei Monaten begonnen hatte. Und eigentlich hätte sie es wissen oder zumindest erahnen müssen, dass ihr Sohn eines Tages auch gewalttätig werden konnte. Aber welche Mutter wollte das über den eigenen Sohn schon zugeben?
    Sie hatten Luka vor einer halben Stunde gemeinsam zu Bett gebracht und der Junge hatte sich in den Schlaf geweint. Wieder und wieder hatte er beteuert, es nicht gewesen zu sein. Und er hatte einen Freund erwähnt. Einen Freund, den natürlich nur er sehen konnte. Susanne hatte davon gehört oder darüber gelesen, dass so ein Verhalten emotionale Probleme ausdrückte, die ein Kind zumeist mit den eigenen Eltern hatte. Und sie fragte sich, ob sie und Jan tatsächlich so schlecht in der Erziehung gewesen waren oder ob ihre Beziehung nicht mehr funktionierte. Darum musste sie mit ihrem Mann ganz offen reden.
    „Wir müssen morgen zum Direktor, Jan. Wir beide.“
    „Ich habe einen Termin, Schatz. Ich kann nicht.“
    Er nahm die Fernbedienung vom Wohnzimmertisch und war im Begriff, eine Taste zu drücken, als Susanne sie ihm aus der Hand nahm und sagte:
    „Das kann doch nicht dein Ernst sein!“
    „Was?“, fragte er und machte tatsächlich den Eindruck, als ob er nicht wüsste, was es noch zu besprechen gab. Er meinte es nicht böse, dachte sie, er war darin einfach unbedarft. In diesem Moment wünschte sie sich Arroganz von ihm, dass sie ihn anschreien und beschuldigen konnte, aber er starrte sie nun fragend an, unsicher und entschuldigend. Luka hatte seine Augen geerbt, fiel ihr wieder auf. Wie gern sie doch in diesem Blau versunken war.
    „Unser Sohn hat heute eine Lehrerin angegriffen, Jan. Wir sollten besprechen, was wir nun tun.“
    Kurz verharrte der fragende Ausdruck in Jans Gesicht, dann lockerte sich seine Mimik und er lächelte schwach.
    „Vielleicht sollten wir mit ihm zu einem Arzt“, sagte er, „schauen, ob alles in Ordnung ist mit seinem Gehirn. Kann ja alles Mögliche sein. Hör mal, ich mache mir auch Sorgen um ihn. Aber heute Abend können wir nichts mehr tun. Und das Letzte, was ich will, ist, dass wir uns verrückt machen damit. Wahrscheinlich ist gar nichts los und er spinnt einfach ein bisschen herum. Aber ich möchte vorerst nicht, dass wir uns zu viele Gedanken machen, okay? Ich habe auch einige Lehrer gehasst an meiner Schule.“
    „Also hast du dich damit beschäftigt?“
    Jetzt wirkte Jan verblüfft.
    „Ja, warum sollte ich es nicht? Er ist unser Sohn.“
    „Aber du hast nicht darüber geredet.“
    „Du weißt, dass ich kein Fan von vielen Worten bin.“
    Susanne wollte Jan gerade über die Wange streicheln, ihm „Danke“ zuflüstern und ihn küssen – auch wenn er wohl nicht wirklich begriffen hätte, warum sie nun so reagierte – als er hinter sie schaute und ein „Hey Kleiner“ sagte. „Musst du nicht schlafen?“
    Mit einem mulmigen Gefühl drehte Susanne sich um. Im Türrahmen stand Luka, wieder in seinem Automotiv-Pyjama wie heute Morgen. Er trug denselben, abwesenden Blick.
    „Hey“, sagte Jan noch einmal und es klang irritiert. Susanne drehte sich wieder zu ihm und sagte, dass ihr Sohn wieder so war.
    „Apathisch, meinst du?“, fragte Jan und sie nickte. „Ja, das sehe ich. Wir sollten ihn wieder ins Bett bringen. Vielleicht ist es Schlafwandeln.“ Dann schüttelte er den Kopf, als würde er sich an den Vorfall mit der Lehrerin erinnern. „Zumindest das hier kann so etwas sein.“
    Aber Susanne glaubte nicht daran. Und Jan wahrscheinlich auch nicht. Sie schaute wieder zur Tür, aber ihr Sohn war verschwunden. Sie drehte sich wieder zu ihrem Mann, sagte „Hast du...“ und sah dann Luka hinter ihm stehen. Diesmal war sein Blick nicht mehr abwesend. Aus Blutunterlaufenden, dunklen Augen starrte er sie direkt an.
    „Luka, Schatz...“, versuchte es Susanne, als Jan sich umdrehte und ein Stück von seinem Sohn zurückwich, näher zu ihr auf dem Sofa rutschte.
    Lukas Stimme war tief und kratzig, als er sprach, wie die eines alten Mannes. Es klang nach Spott und Verachtung.
    „Ich bin nicht Luka“, sagte er.
    Jan drehte sich kurz zu Susanne und sah sie ratlos an.
    „Wer bist du dann?“, fragte sie zaghaft. Und wollte es gar nicht wissen. Was Luka sich da ausgedacht hatte. War das nur ein Spiel? Was sollte es sonst sein?
    „Wir sind Legion“, sagte Luka und trat einen Schritt auf sie zu. Beide wichen noch
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