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F44.3 - In den Augen das Blut

F44.3 - In den Augen das Blut

Titel: F44.3 - In den Augen das Blut
Autoren: Christian Sidjani
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als sie zum Wohnzimmer schritten. Kurz nur erhaschte sie einen Blick auf ihren Sohn, der im Schneidersitz auf dem Boden saß und braune Flecken im Gesicht hatte. Jemand klopfte von innen gegen die Badezimmertür.
    „Frau Meyer, sind Sie das?“, rief Maria. Als Susanne mit einem kurzen „Ja“ antwortete und genauso verblüfft wie Jan auf die geschlossene Tür starrte, fuhr die Studentin fort: „Gott sei Dank. Ihr Sohn... er hat mich vor Stunden hier eingesperrt.“
    Der Schlüssel steckte noch und Jan ergriff ihn und drehte ihn. Mit einem lauten Seufzer trat Maria hinaus und sagte „Endlich“.
    „Was ist hier passiert?“, fragte Susanne und wieder, wie so oft in letzter Zeit, fühlte sie sich sogleich bescheuert. Sie wusste genau, was geschehen war. Und der Gestank bestätigte ihre Furcht.
    Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sie sich wieder zum Wohnzimmer und ging hinein. Dort wurden ihre Ängste noch übertroffen.
    Luka saß noch immer in der Mitte des Raumes, die Hände und das Gesicht mit dem eigenen Kot beschmiert, neben sich der Rest des Haufens, den er gemacht hatte. Jetzt schlich sich auch der Gestank von Ammoniak in ihre Nase und sie sah, dass die Sitzfläche des Sofas nass war und dunkle Flecken auf dem Teppich glänzten. Die Wand dahinter war ebenfalls mit Kot beschmiert worden, aber das konnte kein willkürlicher, sinnloser Akt gewesen sein. Luka hatte in seinem Wahn, Anfall oder was auch immer einen braun lesbaren Satz formuliert:
    Wir sind Legion, verneigt euch!
    „Oh mein Gott“, sprach Maria Susannes Gedanken aus. Jan war nur zu einem Schnaufen fähig. „Das tut mir so leid, Frau Meyer. Ich hätte besser aufpassen...“
    „Packe deine Sachen und gehe bitte“, forderte Susanne die Studentin auf. Und als sie ihr wenig später das Geld überreichte, Tränen in den Augen, fügte sie hinzu: „Bitte erzähle das niemanden.“
    Maria nickte nur und verschwand.
    Wo sollte Susanne anfangen? Hilflos stand sie herum, während Jan den apathischen Jungen vom Boden hob, darauf bedacht, nicht mit den Fäkalien in Berührung zu kommen, und ihn ins Badezimmer trug.
    Sauber machen musste sie. Alles wegwischen, desinfizieren, wegschmeißen. Auch den letzten Rest seiner Demenz auslöschen. Aber es konnte keine Demenz sein, nicht wie bei ihrem Großvater. Nein, das hier war schlimmer. Weinend holte sie alles zum Reinigen aus der Küche und begann mit der Wand, während Jan seinen Sohn badete.
    Es wurde lange Zeit kein Wort gesprochen.
     
    Dienstag Nacht – Kinderzimmer
    Luka hatte Angst im Dunkeln. Doch er wollte kein Licht machen, weil seine Eltern es vielleicht mitbekommen würden. Er hatte seine Mutter lange weinen hören und immer wieder die beschwichtigende und sanfte Stimme seines Vaters, bis sie anscheinend beide eingeschlafen waren. Etwas stimmte nicht mit ihm, da war er sich jetzt sicher. Sein Magen rumorte und seine Blase drückte, aber er wollte nicht aufstehen. Seine Augen waren feucht von Tränen und auch er hatte viel geweint. Aber das wollte er nicht mehr.
    Der sonst so einfache Gang zur Toilette war nun ein Weg ins Ungewisse geworden. Luka hatte Angst, dass ihm dort draußen etwas passieren konnte. Natürlich hatte diese Vorstellung mit seinem Freund zu tun. Dem Freund, der kein Freund mehr war.
    Luka dachte daran, wie er ihn zum ersten Mal begegnet war. Genauso wie vor zwei Nächten hatte er in der Badewanne gehockt und gegrinst. Und trotz seines Äußeren hatte sich Luka sofort bei ihm wohl gefühlt. Er wusste nicht, warum. Eigentlich gab es keinen Grund, sich in der Nähe dieser hässlichen Gestalt wohl zu fühlen. Er musste an die Geschichte vom Rattenfänger denken. Vielleicht spielte auch sein Freund eine Melodie. Nur war sie geräuschlos. Aber Luka war keine Ratte, sondern ein Mensch. Und Freund? Luka wollte dieses Wort nicht mehr benutzen, aber er konnte nicht anders.
    Steif ausgestreckt lag Luka in seinem Bett, die Decke bis zu seinem Kinn hochgezogen und er hoffte auf Schlaf. Er hielt die Augen geschlossen und glaubte, wenn er sie nicht mehr öffnete, dann würde er bald endlich im Land des Schlafes verschwinden. Außerdem wollte er nicht mehr die Schatten in seinem Zimmer sehen.
    Dann wurde seine Bettdecke angehoben und er kroch zu ihm. Er berührte ihn nicht, aber er spürte seinen Atem auf seinem Gesicht. Geruchlos wie sein Körper.
    „Luka“, sagte er, „mein lieber Junge Luka. Heute ist es soweit.“
    Luka presste seine Augen fester zusammen, als konnte er damit den
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