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Böses Spiel in Friesland - Kriminalroman

Böses Spiel in Friesland - Kriminalroman

Titel: Böses Spiel in Friesland - Kriminalroman
Autoren: Bastei Lübbe
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1
    Die Türglocke ertönte.
    Ich schrak zusammen. Hastig blickte ich auf meine goldene Armbanduhr. Es war siebzehn Uhr.
    Das wird Gregor sein, dachte ich und verscheuchte meine depressiven Gedanken, denn auch den edlen Zeitmesser mit garantierter Präzision hatte sie mir geschenkt. Ich schluckte, dem Heulen nahe. Ich musste hart sein gegen mich selbst und gegen den Käufer, der, falls er sich nicht als ein windiger Hochstapler entpuppte, mir bzw. Gregor zweihundertfünfzigtausend Euro für meinen Bungalow geboten hatte.
    Ich wischte mir unsichtbare Tränen aus den Augen, stand für Sekunden an der Balkontür und schaute auf das eingedunkelte Tief, das meinen Gartenrand umspülte. Der Steg, an dem die Jolle lag, ragte zwei Meter in den Kanal hinein. Das Boot, dachte ich und kämpfte erneut gegen den mich ständig bedrohenden Nervenzusammenbruch an.
    Der Klang der Türglocke ließ mich erneut erzittern. Ich durchquerte den langen Korridor und öffnete die schwere Holztür. Auch sie hatte sie selbst entworfen. Der Schreiner hatte aus massivem Holz ihre Vorstellungen verwirklicht. Alles, der Teppich, auf dem ich stand, und selbst die verblasste Fußmatte, die unter den Füßen Gregors, meines väterlichen Freundes und Saunakumpels, lag, trug ihre Handschrift.
    Gregor musterte mich mit beruhigenden Blicken. »Bevor ich mir auf deiner vergoldeten Klingel einen starren Zeigefinger hole, lass mich eintreten«, sagte er.
    »Entschuldigung, Gregor!« Mein Blick erfasste den Nachbarn, der geduckt Unkraut zupfte und mich absichtlich nicht sehen wollte. Alle Bewohner unserer langen Bungalowzeile verhielten sich wie er. Sie gingen mir aus dem Weg. Ich bedauerte das nicht, denn ich selbst wollte niemandem begegnen. Froh und glücklich, das schien mir, konnte ich nie mehr werden! Was mich wunderte, auch das war eine Erfahrung, die nur tiefes Leid, vielleicht auch Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit alleine gebären können, war mein neues Verhältnis zum Ablauf der Zeit. Vor dem grässlichen Geschehen – ich neige immer noch zu der Ansicht, dass es geplant war, dass es schon vor meiner Geburt feststand und ich schicksalhaft hineingewebt wurde – hatte die Zeit für mich einen Ordnungssinn. Jetzt verschwanden ihre Konturen und das Gestern, Heute und Morgen flossen ineinander über.
    Gregor bemerkte nicht, als er mein Haus betrat, dass ich bereits während der wenigen Minuten x-mal gedanklich abgetaucht war, in das, was unerklärlich geschehen war. Er sagte: »Junge, ich muss mit dir reden. Hast du einen Lütten kalt stehen?«
    Das wusste er, davon konnte er ausgehen. Was mich betraf, so war es nur mein mir anerzogenes Pflichtbewusstsein, das mich davon abhielt, mir stündlich oder gar viertelstündlich vor Kummer die Flasche an den Hals zu setzen. Aber ich wusste, wenn ich damit beginnen würde, dass dieser Weg zu meinem Abstieg führen musste. Ich konnte es mir nicht erlauben, schwer atmend die Rolle vor- und rückwärts am Reck vorzuturnen und dabei auf das Mitleid meiner Schüler zu hoffen, die zu solchen Gefühlen in ihrem Alter nicht fähig waren. Sie würden meine Leistungen belächeln.
    Gregor kannte den Weg. Er ging in die Küche, schritt an den Kühlschrank, nahm die eiskalte Doornkaatflasche aus dem Gefrierschrank, erwischte ein sauberes Glas im Aufbauschrank und goss es voll.
    »Wir müssen noch spülen, Junge«, sagte er mit ernstem Gesicht und dachte dabei an die Kaufpreisforderung, die er für mich herauszuhandeln beabsichtigte. Mir war das alles völlig egal. An Geld zu denken war für mich das Letzte.
    »Komm!«, sagte Gregor und drehte den Warmwasserhahn auf.
    Ich hörte den leisen Knall der Gasheizung und hätte am liebsten nach der Flasche gegriffen und mich auf das französische Bett geworfen, in dem ich jetzt genau vier Wochen allein schlief.
    Während Gregor, er war hoch gewachsen, sein Haar war schlohweiß, die Jacke über eine Stuhllehne hängte, sich die Ärmel hochkrempelte und das Spülmittel in die Edelstahlmulde tropfen ließ, dachte ich an meine kleine Tochter Anja, die nur knapp zwei Jahre alt werden durfte. Vor mir erschienen die Bilder, wenn ich sie liebkoste, ihre kleinen Ärmchen nahm und Patschhändchen mit ihr spielte und sie sich wohlfühlend im Badewasser an den Rand der Wanne lehnte und ihre kleinen Zehen sich im Rhythmus vor Freude auf und ab bewegten.
    Ich griff nach dem Geschirrtuch, während Tränen in mein Gesicht rollten, und trocknete Tassen, Teller und Schüsseln ab.
    »Hajo, reiß
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